Zusendung anlässlich unserer Veranstaltung zu China und der ML-Bewegung als Vorschlag für die Fortsetzungsveranstaltung am 23.11.02

W. Grobe

Vorschlag eines Ansatzes für eine produktive Auseinandersetzung mit der ML-Bewegung ...

... und den daraus hervorgehenden Parteiansätzen in der BRD und Westberlin Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre.

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1.

Daß der Kapitalismus/Imperialismus historisch überlebt ist und die Epoche seiner Umwälzung in den Sozialismus begonnen hat, die durch die internationale revolutionäre Arbeiterbewegung geführt wird, wurde bereits zur Zeit des 1. Weltkriegs erfaßt. Dieser Kampf bildet den Hauptinhalt des vergangenen Jahrhunderts, in dem bereits große Siege des Sozialismus erkämpft wurden, deren Resultate trotz Umstürzen innerhalb des Sozialismus nicht unwirksam gemacht werden können. Der heutige Imperialismus unterläßt wirklich nichts, um weitere Beweise für die Richtigkeit dieser Grundansicht beizubringen. Nach einer Reihe schwerwiegender Niederlagen ist die kommunistische Bewegung heute allerdings in beträchtlichem Maße zersplittert, z.T. entmutigt und desorientiert und steht erst am Anfang der notwendigen Überwindung dieser Zustände. Andererseits bestehen angesichts der heutigen Gesamtlage wieder neue und bessere Möglichkeiten als bisher, Schritte zu ihrer Reorganisation zu tun.

Wenn wir geschichtliche Fragen der kommunistischen Bewegung diskutieren, dann kann das nur mit dieser praktischen Perspektive einen Wert haben.

2.

Zu den wertvollsten Erfahrungen in unserem eigenen Land gehört der Neuaufschwung der kommunistischen Bewegung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre, der vor allem in der sog. ML-Bewegung und den damit zusammenhängenden Parteiansätzen Gestalt annahm. Wie auch immer die spätere politische Entgleisung, Degeneration und Liquidation der größten Teile dieser Bewegung zustande kam – diesen Prozeß  zu begreifen gehört mit zu den aktuellen Aufgaben –, so  darf doch nicht verneint oder verkleinert werden, daß es hier zu einer starken Massenbewegung mit Zehntausenden politischer Aktivisten gekommen ist, die mit der Umsetzung des Kommunismus, der Kritik am Revisionismus und dem Umsturz der herrschenden Gesellschaftsordnung ernst gemacht haben. Diese Bewegung hat die revisionistische Sackgasse von Grund auf kritisiert, mit der bürgerlichen Ordnung radikal gebrochen und mit ihrer Praxis bedeutenden gesellschaftlichen Einfluß genommen, weil sie in den Grundlinien richtig lag. Sie war mit der internationalen kommunistischen Bewegung, mit der chinesischen Kulturrevolution insbesondere sowie mit den Befreiungskämpfen Vietnams und anderer unterdrückter Völker und Nationen eng verbunden und hatte Entsprechungen in einer Reihe westlicher Länder. Die BRD ist u.a. durch diese Bewegung und die Reaktionen der Bourgeoisie auf sie radikal verändert worden.
In einem Statement unserer Organisation, der Gruppe Neue Einheit, heißt es zu dem weiteren Schicksal dieser Bewegung:

»Der Verlauf der ML-Bewegung, ihr weiterer Abbruch ist nicht vorwiegend. bestimmt durch irgendwelche Machenschaften staatlicher Organe gegen diese Organisationen – den Aktivitäten des BKA etwa, oder der öffentlich aufgezäumten Terrorhysterie und der damit verbundenen Erpressung und öffentlichen Hetze, das heißt also den staatlichen Repressionsmaßnahmen. Auch noch nicht einmal der Umsturz des revolutionären China oder die Rolle Albaniens oder die Widersprüchlichkeit innerhalb dieser Bewegung sind dabei  an erster Stelle ausschlaggebend – entscheidend für den Niedergang dieser ML-Bewegung (in ihrer Masse gesehen, nicht für alle zutreffend) ist neben diesen genannten Faktoren vor allem der ökonomische Umbruch, der im Lande selbst stattgefunden hat. Man muß doch einmal sehen: Was war Deutschland im Jahre 1973 von der industriellen Seite, und was war es im Jahre 2001, 28 Jahre später. Dazwischen klaffen Welten von der ökonomischen Produktion her.
Wir haben doch nicht mehr das Proletariat hier in diesem Land, das ist doch ganz wo anders – und da will man den Kommunisten, die sich damals neugebildet hatten, vorwerfen, daß sie es nicht geschafft haben, diesem objektiven Trend, der ja auch die Basis unter ihren Füßen wegriß, zu widerstehen?
Das können nur Leute sagen, die keine Ahnung haben.
Vor allem steht diese ML-Bewegung mit einer solchen Entwicklung überhaupt nicht isoliert da in der Geschichte der Kommunisten. Man nehme doch Marx. Hat der nicht im Bund der Kommunisten gearbeitet -  und was ist daraus geworden? Nach wenigen Jahren ist der zerbrochen. Er hat die Internationale geleitet mit ihren verzweigten Verbindungen – und was war 1873 davon noch übrig? Fast nichts, sodaß man schon mal gespottet hat, die »Partei Marx” bestehe aus 3 Leuten, Marx, Engels und Liebknecht als Agenten in Deutschland. Aber diese Spötter haben alle nicht geahnt, was auf sie zukommt.
Derartige Vorfälle, daß eine bestimmte Bewegung existiert hat und hinterher fast zu Null geschrumpft ist, um dann wiederzukommen, existieren nicht zum ersten Mal in der Geschichte, und man wird sie in vielen Ländern finden. Deswegen zeugt das ganz verächtliche Gerede über diese ML-Bewegung von tiefer Unkenntnis der revolutionären Entwicklung überhaupt und vom Unwillen, von solchen Erfahrungen Kenntnis zu nehmen, weil das die eigenen Spießerexistenz stört, ganz besonders bei solchen Leuten, die selbst zu dieser Bewegung gehörten, aber die Niederlage, die oft auch als ihre persönliche Niederlage aufgefaßt wird, nicht richtig verkraftet haben.«

Eine völlige Anschwärzung dieser Bewegung und ein Nicht-Zur-Kenntnis-Nehmen-Wollen ihrer praktischen Bedeutung ist typisch für Leute, die keine neue revolutionäre Bewegung wollen. Es ist auch ein irreführender Ansatz, wie das PC in seinem Schmähpapier tut, ein Bild zu zeichnen, als sei von den angeblichen oder tatsächlichen usprünglichen Schwächen der Bewegung her der Weg schon determiniert gewesen, den man grob als die Verwandlung einer revolutionären Bewegung in eine ökologistisch-sozialdemokratische Staatslinke kennzeichnen könnte. Der entscheidende Wendepunkt, der Umsturz in China 1976/77 und die damit verbundene Verleugung der revolutionären Prinzipien bei KBW, KPD(AO) und KPD/ML/ Roter Morgen) und anderen wird von PC überhaupt nicht erwähnt, er faßt nur ins Auge, daß die spätere Fortsetzung dieser bereits degenerierten Bewegung schließlich im Staatsapparat gelandet ist und benutzt diese Tatsache, um ein Schmähpapier gegen die ursprüngliche Bewegung zu verfassen. Eines der Gegenbeispiele, daß es möglich war, die revolutionären Prinzipien beizubehalten, zu verteidigen und zu entwickeln, ist unsere Organisation, die Neue Einheit-Organisation, die trotz Benachteiligung von Anfang an, und obwohl sie nur eine Gruppe war, trotzdem dem revisionistischen Umsturz und der kleinbürgerlichen Verseichtung hat widerstehen können.

Für die gegenrevolutionären Entwicklungen haben die ursprünglichen Schwächen natürlich eine große Rolle gespielt. Man muß daher – ganz anders als PC - die intensiven Auseinandersetzungen, die sich von Anfang an in der Bewegung abgespielt haben, und auch die reale gesellschaftliche Basis dieser Auseinandersetzungen, die ökonomisch-soziale Entwicklung der BRD mit ihren radikalen Brüchen in den siebziger Jahren, die Wendung hin zur Politik der gezielten Produktionsverlagerungen und der Verminderung und Spaltung des Proletariats, und schließlich die internationale Entwicklung mit dem Umsturz in China als die Hauptvorgänge zur Kenntnis nehmen, die mit der Parteientwicklung in Deutschland verwoben sind. Sonst bekommt man keine materialistische Erklärung für den heutigen Stand.

3.

Man sollte zur Kenntnis nehmen, was sich diese Bewegung an gemeinsamen Positionen aus der gesamten bisherigen internationalen revolutionären Arbeiterbewegung, v.a. aus der Oktoberrevolution, dem Aufbau des Sozialismus in der SU, der chinesischen Revolution, auch aus der Auseinandersetzung mit Revisionismus und Opportunismus in Deutschland, aus der späteren Durchsetzung des Revisionismus in der SU und seiner Abwehr in anderen Parteien und Ländern erarbeitet hatte. In den Lehren von der Diktatur des Proletariats, von der Langwierigkeit des Klassenkampfs in der sozialistischen Periode, von der kommunistischen Partei, und von der Bedeutung des Kampfes der unterdrückten Völker und Nationen war sie im wesentlichen einig. Wer an der Bewegung diese Positionen falsch findet, also den Marxismus für falsch erklärt, sollte nicht so tun, als wolle er ihr kritische Gerechtigkeit widerfahren lassen und an einer Neubelebung der kommunistischen Orientierung arbeiten.

4.

Was waren die Hauptpunkte der ursprünglichen Auseinandersetzungen innerhalb dieser Bewegung?

- Orientierung auf die Arbeiterklasse, Überwindung der Schwächen, die mit der studentisch-intellektuellen Herkunft der größten Teile ihrer Aktivisten verbunden waren

- Orientierung auf die gesellschaftliche Realität, Kampf gegen phrasenhafte Propaganda (wie z. B. bei der KDP/ML-Roter Morgen)

- Kampf gegen die pseudolinken Aktivitäten, gegen die Einmischung der Bourgeoisie in die Bewegung,  Auseinandersetzung um die richtige Einschätzung der Sozialdemokratie und des modernen Revisionismus, Auseinandersetzung um die Frage der imp. Arbeiteraristokratie

- Internationale Lage, insbes. die Fragen des Regimes der Supermächte (u.a. die deutsche Frage), die Bedeutung der Kämpfe der unterdrückten Völker und Nationen im Weltmaßstab, die Bewertung der Außenpolitik der VR China ab etwa 1971.

Im weiteren kommen noch hinzu:

- Auseinandersetzung mit dem Umsturz in China, der Ende 1976/1977 Gestalt annimmt

-  Auseinandersetzung mit der Anti-Kernenergie-Kampagne, der eigentlichen Brücke von der revolutionären Bewegung zur bürgerlichen Fundamentalreaktion.

Zu allen diesen Fragen können wir, wenn es interessiert, authentisches historisches Material, natürlich nicht nur von unserer Organisation, sondern in einigem Umfang auch von den übrigen Beteiligten, zur Verfügung stellen. Unser Ziel ist es vor allem, den realen Klassenkampf zu verdeutlichen, der sich in allen diesen Auseinandersetzungen verkörpert hat. Man könnte bei dem Termin 23.11.02 z.B. die Programmatische Erklärung der KPD/ML (1968/69) und eines der Grundsatzpapiere des KBW zur Grundlage nehmen.

Zu Anfang seines Papiers schreibt PC völlig einseitig:

»Aber auch die massenhaft irgendwo links gebliebenen nicht-akkomodierten Loser, KriegsverliererInnen des Neo-Leninismus und ihr restlinker Nachwuchs mögen oder können über jene Jahre nicht sprechen.«

Das trifft für die Neue Einheit nicht zu. Wir sind selbst aktiver Teilnehmer der Entwicklung seit Ende der 60er Jahre, haben sie im praktischen Kampf mitgestaltet, und es liegt eine große Zahl an Dokumenten von uns aus allen diesen Kämpfen vor, die heute natürlich Dokumente der Entwicklung selbst sind und, wenn man will, auch als Leitfaden für ihre Geschichte dienen können. Unsere Einschätzungen von 1970 an über die Hauptinhalte der Bewegung, über verschiedene ihrer Organisationen/Hauptakteure und über die wichtigsten Ereignisse und Wendepunkte:  Gründungen, politische Streitfragen, Wachsen und »Scheitern« der Bewegung, soziale und politische Veränderungen der Gesellschaft, Bedeutung des chinesischen Umsturzes und die Rolle der diversen Parteien in Deutschland, aber auch anderer Parteien in der internationalen Szene, die Selbstliquidation und »Vergrünung« der meisten und der politische Charakter dieses Vorgangs, die Verminderung und Fragmentierung der Arbeiterklasse hier, bei gleichzeitiger Entwicklung von Produktion und Proletariat in anderen Teilen der Welt, v.a. Ostasien, der internationalen Staatenkonstellationen usf. liegen vor und sind nachprüfbar. Diesen Fragen ist unsere Organisation nie aus dem Weg gegangen.

Wenn PC schreibt:
»Dabei erweisen sich die damals aufgeworfenen Problemstellungen als hochaktuell: die Fragen der kapitalistischen Transformation von Ökonomie bis Kulturrevolution, der Proletarität in der Krise, der neuen Klassenanalyse, der politischen Macht- und Übergangsformen, des weltrevolutionären Zusammenhangs in einer kriegtreibenden Konstellation und, last but not least, effektiver revolutionärer Organisation -- sind kein bißchen obsolet geworden sondern einfach nur unabgegolten: nichts ist gelöst.«

können wir dem in dieser allgemeinen Form zustimmen, und auf unsere Arbeit an diesen Fragen, im Zusammenhang des konkreten politischen Kampfes, verweisen.

W. Grobe

(Der Autor ist Mitglied der Redaktion Neue Einheit)

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