Bericht von der Veranstaltung am 12.06.2002

Heinrich Brandler. Eine politische Biographie.

Buchvorstellung mit dem Autor Jens Becker

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H.Brandler war 1923 KPD-Vorsitzender, argumentierte gegen ihren Kurs auf »Oktoberaufstand« (vorbereitet ab 10.10. in Sachsen, gipfelnd in der Niederlage mit dem Aufstand in Hamburg 23.10. 1923) und wurde seitdem zusammen mit Thalheimer regelrecht zum Sündenbock für die Niederlage des proletarischen Anlaufs gemacht, und zwar von der ultralinken (»Ruth Fischer«=Elfriede Eisler, A.Maslow, Scholem, Rosenberg, Korsch -- mit der Sinowjew-KomIntern-Führung im Rücken) wie von der stalinistischen Seite (Thälmann e.a. -- mit Stalin im Rücken). Mit der reaktionären Sozialdemokratie ab 1914 hatten Brandler und Thalheimer sowieso nie was am Hut.

Beide Namen werden meistens in einem Atemzug genannt, tatsächlich bildeten sie eine interessante Symbiose: galt ab 1923/24 Thalheimer als »der theoretische Kopf« der Anti-«Offensivtaktiker«, so der Autodidakt Brandler als der Arbeiterfunktionär und Praktiker in diesem Gespann mit kommunistischer Bodenhaftung in der realen Klasse, wo nach der Ermordung von Rosa Luxemburg selten ein Redner die Gefühlslage und Intuitionen des aufgewühlten deutschen Proletariats so nüchtern und kämpferisch zugleich artikulieren konnte wie gerade Brandler. Dass dieser aber durchaus Theoretiker-Format entwickelte -- weit über die auch theoriebildende Symbiose mit Thalheimer hinaus --, konnte der Referent im Verlauf seiner Darstellung besonders deutlich herausarbeiten (dazu weiter unten: »Es gibt schon sowas wie einen Brandlerismus-als-Weltbild«). »Brandler verkörpert vier Epochen«, so der Autor der großen Studie, die wir in diesem (wieder mal zu lang geratenen) Kurzbericht unmöglich auch nur skizzieren können.

Die wissenschaftliche Arbeit über diesen revolutionären Arbeiterfunktionär und kommunistisch-proletarischen Kopf als Fleisch-vom-Fleische der bis zum letzten Atemzug kämpfenden sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland, in vieljähriger akribischer Archiv- und historischer Literatursichtung aus der Verschüttung herausgeholt, 2000 erschienen, gibt im Hauptstück eine Frühgeschichte der KPD, die so erst durch den Zugang zu den Archiven der ehemaligen DDR ab 1990 endlich erschliessbar war.

Heinrich Brandler liess sich weder durch die politischen Hexenjagden des finsteren 20. Jahrhunderts der bürgerlichen, faschistischen und stalinistischen Konterrevolution als politisch und theoretisch-praktischer Organisator kleinkriegen (er konnte im Exil überleben und kämpfte in BRD 1948-67 in der Gruppe »Arbeiterpolitik« bis zu seinem Tode weiter; z.B. auch Heinz Brakemeier war von ihm in jener letzten Zeit beeindruckt), noch gab er in den  -- heute für uns hierzulande schier unvorstellbaren -- ökonomisch-existenziellen Widrigkeiten seines Proletarierlebens auf: was ihn nicht umbrachte, machte ihn härter und sogar heiterer. Viele von denen, die ihn politisch gehetzt und als »Rechten« stigmatisiert und geschurigelt haben, sind dann zu ordinären RenegatInnen geworden (wie die Ultralinke Fischer) oder zu stalinistischen Schranzen (wie Ulbricht, den Brandler ursprünglich 1923 als fähigen Gewerkschafter in die sächsische KPD-Führung geholt hatte und der sich zunächst als »Brandler-Mann« gab, dann 1924, dessen Absturz witternd, an der Brandmarkung des Sündenbocks hurtig beteiligte, da kam die Charaktermaske der berühmten Parteiführungskraft bereits zur Kenntlichkeit ...). Clara Zetkin war es, die Brandler und Thalheimer (sowie Pieck) bis 1928/29 politisch und theoretisch unterstützte (und dass »dann stillschweigend abtauchte«, so J.B., lag wohl schlicht daran, dass sie in den letzten Jahren vor ihrem Tod, inmitten des Furors der Stalinisierung in der SU, »einfach nicht mehr konnte -- und wollte«. Übrigens gebe es bis heute keine gute ClaraZetkin-Biographie!).

Historisch-methodologisch als streng wissenschaftliches Forschungsresultat (akademische Schule bei Prof. Klaus Fritzsche, Giessen) tritt uns hier also endlich das Bild »des anderen  Arbeiterfunktionärs« vor Augen, der Typus des revolutionären Kaders an der Basis des Proletariatsprozesses. »Über Arbeiterfunktionäre«, so J.B., gibt es bisher kaum wissenschaftliche Darstellungen. Jens Becker (selbst von der Sozialdemokratie geprägt) nennt aber als herausragenden neueren methodologisch-historiographischen Ansatz das Werk von Theodor Berkmann: »Gegen den Strom«, das auf den Archivöffnungen des vergangenen Jahrzehnts beruht und vor allem auf dem bewussten Blick, der Darstellungsperspektive »from the bottom up«.  In dieser Linie arbeitend, begann sich J.B. »zufällig« mit Brandler zu beschäftigen über der Erforschung der »Kommunistischen Partei-Opposition« (KPO), weil dort der Name immer wieder auftauchte.

Leider können wir hier kaum die vom Autor gegebenen Daten und Episoden des revolutionären Werdegangs von Brandler, die doch so beredt wären, anführen: wie der 1882 geborene gelernte Maurer sich nach einem Arbeitsunfall, der ihn zum »Glöckner von Notre-Dame im revolutionär-sozialdemokratischen Untergrund« des wilhelminischen Deutschlands zeichnete, auf Wanderschaft als autodidaktischer Haus- und Arbeiterbildungs-Lehrer (hier Kontakt zu Karl Liebknecht, mit Pieck, mit Karl Radek ...) durchschlug, in der Jugendarbeit; frühzeitig im Fahrwasser des linken SPD-Flügels (Bremen!) sich anlegend mit den Ebert e tutti quanti, in den Spitzelberichten »immer der Querulant«, seine Abneigung gegen den »revolutionären Attentismus« der Kautsky & Parteiorthodoxen wie der Revisionisten artikulierte; als Wanderlehrer nach Zürich gekommen dort Fritz Heckert kennenlernte, mit dem er bald auf der SPD -Parteischule und im Vorsitz des Bauarbeiterverbandes in Chemnitz zusammenwirkte; wo er Heilmann kennenlernte und sich mit dem dort sitzenden Noske und anderen SPD-Rechten konfrontiert sah (die schon damals mit dem ausgeprägten Geruch der »nichtrevolutionären« Sozialdemokratie behaftet waren); wie dort Brandlers Weg als ein Exponent des »linksradikalen« Flügels bis zum (J.B.:«seltsamerweise erst«) 1915 exekutierten SPD-Ausschluss führte und anschliessend in der USPD um die Kautsky-Zentristen in der Arbeit mit (»dem nicht unbedeutenden«- so J.B.) Dittmann / Metallarbeiterverband und dann, wiederum mit Heckert, ausserordentlich organisationstalentiert, auf lokaler, regionaler sächsischer Landesebene der Aufbau der stärksten SPARTAKUSgruppe gelang.

So wurden unter den Kriegsbedingungen der »Burgfriedenspolitik« der Mehrheits-SPD in Chemnitz die schon länger entstandenen Streiks usw. (der »Butterkrawall« 1915 alarmierte die Behörden) allerdings erst 1916/17 in revolutionäre Stimmungslage und Bewusstheit hinein politisiert; wobei gerade Brandler gegen die »Russophobie« der vorkriegssozialdemokratisch-sozialpatriotisch verseuchten deutschen Arbeiterbewegung -- zumindest ihrer Funktionärsschicht -- wühlte und Stellung nahm: zusammen mit Heckert suchten und fanden sie  Kontakte zu russischen Kriegsgefangenen und bauten dabei gerade auch die Solidarisierung mit den Bolschewiki 1917/18 aus, zur Propagierung und Verteidigung der Sowjetrevolution.

Nun gelang bis 1920 (bis zum Kapp-Putsch) Brandler und GenossInnen zweierlei, was das Gewicht der revolutionären Linken in Chemnitz (bald stärkster Bezirk für die KPD und damit auch u.a. Brandlers Rolle) ungemein erhöhen sollte: einmal nahmen die organisatorischen Erfolge in den Arbeiter- und Soldatenräten klare Gestalt an -- trotz basisfeindlichem Bremsen der Funktionärsschicht -- nämlich als wirkliche, echte »Doppelherrschaft« der politisch-staatlich/gegenstaatlichen Klassenmacht,  und zweitens war überdies schon (seit dem Drängen von Leo Jogiches) die Gewerkschaftskompetenz der beiden Chemnitzer Organisatoren so konsolidiert, dass sie diese ebenso klar in der Führung der jungen KPD zu repräsentieren berufen waren. Um so mehr, als nach der Köpfung der KPD-Führung 1919 (der Historiker-Journalist Gietinger z.B. behauptet nachweisen zu können, dass SPD-Noske persönlich dem Hauptmann Pabst die Anweisung zur Ermordung Luxemburgs, Liebknechts [und Piecks?] gab) blieb, so J.B., ein »schlecht ausgebildetes KPD-Funktionärspersonal« übrig; so erklärt sich der Historiker auch das taktische Durcheinander vor und nach dem siegreichen Arbeitereinheitsfront-Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920 (Rote Ruhr-Armee), die Schwankungen, Abenteurerei und Zerfahrenheit in der Zeit der Führung der KPD durch Brandler, Thalheimer, Heckert, vor allem »Fehler wie den Bakuninistenputsch« (J.B.) des mitteldeutschen Aufstands 1921, die sogenannte »Märzaktion«.

Hatte es 1918-20 nachweisbar, so der Historiker, sehr starke Tendenzen in der Bevölkerung gegeben, die alten Regimes zu stürzen und sogar stimmungs- und bewusstseinsmäßig darüberhinaus im Sinne des Kommunistischen Manifests den ökonomisch-sozialen »gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung« (Marx) in Angriff zu nehmen, so setzte schon seit 1921 ein Roll-back überall in Europa ein: von Ungarn... bis Deutschland... musste die KomIntern zur Kenntnis nehmen, dass die »rote Walze« vom Osten nach Westen zum Stehen gekommen war.

So sah der III.KomIntern-Kongress (der noch sehr pluralistisch-kontrovers die Lage diskutierte) 1920/21 einen Strategiewechsel angesagt. Bis 1923 schlugen nun auch die Bedingungsfaktoren der nationalistischen, konter-revolutionären Welle durch: die Hyper-Inflation, das Versailles-Syndrom, die Ruhrbesetzung, symptomatisch die »Schlageter-Rede« von Karl Radek (J.B. dazu: »brillant gewesen, aber instrumentalisiert worden«) ..., so dass von April/Mai bis Juli/August ein Bild entstehen konnte (wie es z.B. auch von Jacob Moneta, Arthur Rosenberg, aber allererst »Ruth Fischer«, Maslow, Scholem e.a. gezeichnet wird:) als habe die KPD (mit Brandler und Thalheimer an der Spitze) damals »die Revolution in Deutschland verschlafen«, die ungeheure Politisierung vom subjektiven Faktor aus nicht zum Umsturz zu organisieren vermocht.

»Doch wissen auch die wenigsten KPD-Historiker«, so J.Becker aufgrund seiner neuesten Einsichten, dass die KPD gerade zu jener Zeit völlig zerstritten und von KPD-Fraktionen- und KomIntern-Intrigen weitgehend paralysiert und tendenziell desorganisiert gewesen ist. Die »Offensivtaktik« der KPD endete 1923 definitiv mit der Aktion, die J.Becker glatt als eine »Inszenierung« bezeichnet: dem »Hamburger Aufstand«. Brandler und Thalheimer, nun zu Sündenböcken für das ganze Desaster gemacht, wurden aus der KPD-Führung entfernt und nach Moskau zitiert, dort schon einer Art erstem »Schauprozess« (auch bereits mit »Präparierungs«-Versuchen) ausgesetzt, und (wie Rjasanow dies sehr treffend sarkastisch zu nennen pflegte:) »kominterniert«. Brandler gelang die Rückkehr nach Deutschland nicht vor 1928 (wobei das drei- bis vierjährige Ringen um eine Rückreisegenehmigung bereits ein aufschlussreiches Drama war). (...)

Die KPO aber spaltete sich zweimal an der Einschätzung des Charakters der Sowjetunion. (Dazu weiter unten.) »Gegen die bürokratische KPD-Führungsclique« der inzwischen zügig stalinistisch ausgerichteten, pseudo-«bolschewisierten« [da entgegen der Leninschen Gewerkschaftspolitik eine RGO-Linie durchgesetzt, entgegen der Leninschen Arbeitereinheitsfrontstrategie die Stalinsche »Zwillingsbrüder«-These zur »Sozialfaschismus«-Taktik zugespitzt und schon gar kein Aufbau von Betriebszellen ernsthaft angegangen, sondern die »Massenpartei« als Demonstrations-, Agitations- und Wähler-Partei mehr und mehr zum Koloss auf tönernen Füßen aufgebläht wurde,] »Thälmann-KPD« führte die KPO einen ebenso weitsichtig-scharfsichtig intransigent-analytischen Kampf mittels ihrer Zeitschriften »Gegen den Strom« und »Arbeiterpolitik«, wie sie auch bereits Mitte der 1920er den Bruch mit Trotsky vollzogen hatte, dessen abenteurerischer Bürokratismus (später von Sinowjew in der KomIntern-Führung fortgesetzt) bei Brandler und Thalheimer schon angesichts des ferngelenkten Inszenierungsplans für den Operettenputsch des seinerzeitigen »deutschen Oktoberaufstands« übel vermerkt worden war. (...)

Nach dem Preussenschlag(Absetzung der SPD-Regierung Braun/Severing durch Reichskommissar unter Göring) als unverkennbarem Auftakt für die NS-Machtergreifung war es Brandler, der sofort einen Aufruf an die ADGB-Gewerkschaftsführung (und natürlich Basis selbst) verfasste, als antifaschistische Arbeitereinheitsfront nun endlich zu handeln ähnlich wirksam wie beim Kapp-Putsch seinerzeit -- die ADGB-Bürokraten wiesen das ab. »wir lassen uns doch von Kommunisten in keine Falle locken!« (so sinngemäß im Protokoll). Brandlers Politik und taktische Vorschläge stützten sich allemal auf die Erfahrungen der wirklichen Klassenkämpfe jener Zeit, dass -- wie auch die heutige Forschungsliteratur immer wieder aufzeigen, nachweisen kann -- trotz gegenseitiger Abgrenzungsbemühungen der Führungsapparate (»Sozialfaschisten!« vs. »rotlackierte Faschisten!« usw.) »unten«, bei den Arbeitermassen die Verständigungs- und Aktionseinheitsinitiativen und -Stimmungen nicht totzukriegen waren ...

Angesichts der bitteren Erfahrung mit dem Spanischen Revolutionskrieg, der in den1930ern der wahren Rolle der stalinistischen Konterrevolution auch nach aussen hin als Opfer der Weltrevolution endgültig zum Demonstrationsobjekt diente, brach Brandler schliesslich ganz mit der Sowjetunion und zugleich auch mit jeder KPD-Wiedereintrittsperspektive. Seit 1933 hatte Brandler im französischen, dann im kubanischen Exil überlebt. Erst 1948 ging er nach Westdeutschland zurück, seine kommunistische Arbeit in der Gruppe »Arbeiterpolitik« liess ihn bis zu seinem Tod »durchhalten als alter Bolschewik« (sic J.B.), dessen theoretisch-politische Organe z.T. noch heute existieren (so die Zeitschriften »Arbeiterstimme« /Nürnberg, »Arbeiterkampf«/ Hamburg). Vermittels dieser theoretisch-politischen Organe hielt er in der postfaschistisch-antikommunistisch vernagelten BRD des CDU-Staats [mit ihrer rechten Godesberg-sozialdemokratschen Scheinopposition und ihrer im KPD-Verbotszustand sich selbst poststalinistisch kastrierenden scheinrevolutionären Revisionistenpartei usw.] eine positiv-kritische bis tendenziell vielleicht sogar apologetisch zu nennende Haltung gegenüber der inneren und äusseren Politik der Sowjetunion durch; dabei ging er sogar bis zur Befürwortung der Niederschlagung des Ungarischen Aufstands 1956 (kann also auch wohl kaum des »Rechtskommunismus« im Sinne des »Petöfi-Clubs« oder späteren »Prager Frühlings«, den er nicht mehr erlebte, geziehen werden!) ... Soweit die knappsten Umrisse zu Brandlers Werdegang als starker kommunistischer Persönlichkeit und Organisator-Politiker des revolutionären Proletariats in der deutschen Misere des vergangenen Jahrhunderts.

Die Diskussion brachte nun sein eigenes Format als wissenschaftlich-kommunistischer Kopf zur Deutlichkeit: das dürfte der bis heute unbekannte Heinrich Brandler sein.

Brandler hat sehr viele Artikel geschrieben, auch für theoretische KP-/KomIntern-Zeitungen und Zeitschriften, wenn auch meist in Symbiose mit Thalheimer. Dessen Faschismustheorie entdeckte die historisch-analytisch fruchtbare Analogie  mit dem von Marx so ausgiebig bloßgelegten und bekämpften Bonapartismus (das Regime und die bürgerlich-despotische Staatsform, Herrschaftsform unter Louis Napoléon in Frankreich 1850-1871) kennzeichnete schon die Brüning-Regierung als Regime der »Aushöhlung der Demokratie«, und Brandlers Deutungen folgten diesem Theorem.

Doch Jens Becker zufolge gibt es durchaus etwas wie einen eigenständigen »Brandlerismus als Weltbild«, und zwar vor allem hinsichtlich der Gewerkschaftspolitik, ja der Ökonomie überhaupt. Als gewissermaßen das Manifest des Brandlerismus wurde in den 1920ern der Aufsatz ausgearbeitet: »Ein Aktionsprogramm  für Deutschland, dessen Veröffentlichung 1927 durchgesetzt werden konnte: Seine Eckpunkte sind als Übergangsforderungen , in der im Rückgriff auf die Formulierungen von 1918/19 der Rätegedanke in den Vordergrund tritt und eine Produktionskontrolle plausibel macht. Organisationstheoretisch entwickelt Brandler hier eine Analogie zur leninistischen Parteikonzeption.

Auch eine Analyse der Entwicklung der Sowjetgesellschaft geht er an: eine Broschüre skizziert »Grundlinien der Geschichte der SU«.

Angesichts der letzteren theoretischenn Anstrengung, meint allerdings J.B., werden schnell seine analytischen Grenzen deutlich. Immerhin liegt Brandlers Einschätzungen seine Anschauungs-Erfahrung in der SU selbst zugrunde: mit Pjatakow (dem ehemaligen Trotskisten) hatte er diese bereist und  - in seiner nüchtern-materialistischen Ausdrucksweise eines KP-Kaders im permanenten Klassenkriege - »das Menschenmaterial« dort in den Blick genommen. Thalheimer hatte schon das gigantische soziale Experiment in der SU einen »Sozialismus in Barbarengestalt« genannt, und Brandler griff das auf. Er sah sehr wohl die Tragik, blieb jedoch strikt bei einer positiv-kritischen Verteidigung der SU »als dem Antipoden des Kapitalismus« trotz alledem ... »P.Becker sieht »den Brandlerismus als eine sehr merkwürdige Mischung » an: Sowohl was das KomIntern-Regime angeht, Brandlers »Ratschläge an die KPD ...« als auch die (Nicht-)Übertragbarkeit des bolschewistischen Organisationsmodells auf nichtrussische Form(ation)en, nehmen Brandlers Analysen und Einschätzungen eine originelle Zwischenstellung ein.

Auf einige wertvolle neuere Forschungsdarstellungen hat Jens Becker besonders hingewiesen: Klaus [Mahlmann] »Kommunisten in der Weimarer Republik - zur Sozialgeschichte des deutschen Kommunismus« (Habil.schrift 1996) (Dieser erklärte und weithin gewürdigte (Lob von Wilfried Loth) Gegenentwurf zur klassischen, entlang Führungspersönlichkeiten zentrierten Darstellung von Hermann Weber stützt sich schwergewichtig auf Archivmaterialien aus dem Saarland, aus denen es ein gut Stück die »Geschichte von unten« rekonstruieren kann, wie sie an der klassenköämpferisch-proletarischen Basis wirklich aussah, -- wiewohl auch hier Materialgrenzen deutlich seien , so Jens Becker streng).

Zu erwähnen seien noch besonders Lore [Heer-Kleiner] zur Gewerkschaftsstrategie und -arbeit der KPD , sowie eine neuere Studie über die »roten Milieus« in Berlin.

Jens Beckers politische Biographie von H.Brandler, die im Marxschen Sinne annähernd  historisch-radikale  und  wissenschaftlich-bewegende Darstellung eines gesellschaftlichen Individuums geworden ist, erschien im VSA-Verlag.

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