Aus dem Zirkularbrief 3 von Oktober 2001

Bericht vom Lektürenachmittag am 1.September 01

Der ›Fenichel-Kreis‹

aus der Reihe »Psychoanalyse und Revolution«

Ausgewählte Passagen aus den »Geheimen Rundbriefen 1934 -45« von Otto Fenichel wurden vorgestellt. Nachdem im vorigen Halbjahr die Stellung Fenichels zwischen S.Freud und W.Reich im Streit um die Grundbegriffe und Methode der »orthodoxen« Psychoanalyse überprüft worden war, boten nun die hier vorgelegten Briefe, Buchbesprechungen und Kritiken Fenichels aus-serhalb und innerhalb des kommunistischen Kreises einen Querschnitt durch

  1. Die politische Positionierung
  2. Die Faschismus- und NS-Analyse sowie Antisemitismus-Analyse
  3. Die Behandlung des Geschlechterrollenproblems in seiner historisch-materialistischen Genese (»Mythos Matriarchat«) wie seiner Relevanz im modernen Kapitalismus (»Penisneid«-These und Kultur).

Der dritte Komplex konnte allerdings diesmal noch nicht diskutiert werden. Ebenso bleibt die Analyse und Diskussion zum Komplex der »Arbeit« unter den Psychoanalytikerinnen des Fenichel - Kreises (Barbara Lantos, Daniel Pernik) noch einer künftigen Untersuchung vorbehalten.

Vorerst stand im Zentrum der Diskussion der Begriff vom modernen Kapitalismus der dreissiger und vierziger Jahre des Jahrhunderts der »Modernisierungsregimes« managerialer und »staatskapitalistischer« Transformationen bürgerlicher Herrschaft.

Fenichel setzt sich mit überzogenen und mit reduktionistischen Deutungen seiner Zeit kritisch auseinander, indem er deren Wirklichkeitsgehalt vorsichtig marxistisch herauszuschälen versucht. Dabei kommt es ihm letztlich an auf die Analyse ideologischer Verkehrung der Interessen und Triebenergie der Proletarisierten gegeneinander und gegen sich selbst. Statt diese vulgär-«marxistisch«-psychologistisch bzw. soziologistisch zu einer »Klassentrieb-Unterdrückung« kurzzuschliessen, käme es darauf an, die psychische, »dem Klassencharakter der Gesellschaft entsprechende Umstrukturierung der Individuen, die gewisse Erkenntnisse verhindert,« konkret zu untersuchen - vor allem in der »Ideologiefabrik Familie« (W.Reich). »Entstehung und Reproduktion solcher gesellschafts-charakteristischen Ideologien wäre der zu erforschende Gegenstand einer marxistischen Psychoanalyse.«

Diagnose: barbarische Zerfallsformen des Kapitalismus bringen Herrschaftsformen hervor, »denen die allgemeine 'Sehnsucht nach oraler Abhängigkeit' der Massen entgegenkommt. Die Wirklichkeitsfälschung durch rezeptive Schutzsehnsucht, nämlich »die freundliche Libidinisierung der sozialen Illusion einer Interessengemeinschaft zwischen Kapital und Arbeit« (James Burnham) kennzeichnet »die ausschlaggebende Komponente der verhängnisvollen 'Umstrukturierung' », die die Proletarisierten »in einer Regression zur rezeptiven Umweltbewältigung festhält, wie man sie in der frühen Kindheit hatte. (...) Nicht nur zum Staat, sondern auch zum 'Arbeitgeber' und zur Kapitalistenklasse als solcher entwickelt der Arbeiter eine 'Elternübertragung' » (Burrill Freedman).

Ähnlich wie für kapitalimperialistischen Krieg hält Fenichel für die Faschismen fest, dass »die faschistische Propaganda nicht 'aggressive Triebelemente entfesselt', sondern durch die Entbehrungen entfesselte aggressive Triebelemente in eine bestimmte Richtung gedrängt« habe.

Zum Antisemitismus: »Die Ablenkung, die die die Aggression bei diesem Durchgang durch die Abwehr durchgemacht hat, ist dann das Moment, das dieses 'Wahnsystem' so brauchbar für politische Zwecke macht.« Hier beginne aber erst »die ungeheure Problematik«, die eine marxistische Psychoanalyse anzugehen hätte.

Die bahnbrechende Arbeit Fenichels hierzu bleibt ebenfalls einem besonderen Seminar vorbehalten, anhand der Rundbriefe konnten nur Ansätze und Resultate angerissen werden.

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