Aus dem Zirkularbrief 2, Juni 2001

Bericht vom Veranstaltungscafé am 16. Mai 2001:

Wohin gehen die DGB-Gewerkschaften? 

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Der Referent des Abends, Willi Hajek, aktiv in der frisch zusammengezimmerten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Berlin, überraschte in seinem Vortrag durch eine außergewöhnlich kritische Position zu den Argumentationsmustern linksgewerkschaftlicher Politik.

Er vertrat die Ansicht, dass die DGB-Gewerkschaften nicht nur durch ihre sozialdemokratisch-»sozialpartnerschaft-lichen« Bindungen an den Reformismus der SPD-Eliten, sondern auch durch eine historisch durchgängig feststellbare technologische Modernisierungsideologie gekennzeichnet seien, die sie in immer stärkerem Maße gemeinsam mit dem Unternehmerlager in Gegensatz zu den Interessen sozialer Bewegungen und menschlicher Emanzipation bringe. Dieser schlecht-fortschrittliche Glaube an die prinzipielle technologische Beherrschbarkeit aller Naturprozesse ist eines der problematischeren Erbgüter der »alten« sozialistischen ArbeiterInnenbewegung und setzt sich in den Auseinandersetzungen um Arbeitsplätze schaffende, aber ökologisch und gesamtgesellschaftlich zerstörerische Großprojekte fort. Hajeks Beispiel, die Durchsetzung der Errichtung von Produktionsanlagen für den Airbus auf Kosten eines Naturschutzgebietes an der Elbe in Hamburg, hat es da durchaus in sich. Die mögliche Schaffung von 4000 Arbeitsplätzen führte denn dort auch zur Bildung eines breiten Bündnisses, das vom Unternehmerlager über die Hamburger Stadtregierung bis zur IG Metall reichte. Diesem »modernistisch«-technizistischen Block standen die Interessen der Anwohner, der Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen gegenüber. Ebensolche Konflikte werden seit Jahrzehnten im Bereich der Kernenergie ausgetragen, wo die Gewerkschaften noch weitgehend auf der Seite der Atomindustrie stehen, oder auch, wie das Beispiel der jüngsten Proteste von Zivilbeschäftigten zeigt, bei der Auseinandersetzung um die Verkleinerung der Bundeswehr, genauso übrigens in der Frage der Rüstungskonversion.

Auf der Grundlage dieser lohnarbeitsfetischistischen, technologiegläubigen Denkweise, die in den Apparaten der DGB-Gewerkschaften dominiert, kombiniert mit der Unfähigkeit, Auseinandersetzungen auf einer gesamtgesellschaftlichen Basis zu führen, das heißt: von der Arena des fordistischen Großbetriebs die Kämpfe auszuweiten auf die übergreifenden Terrains der Wohnquartiere, von der räumlich entgrenzten High-Tech-Produktion auf die Auseinandersetzungen um Lebensqualität, Emanzipation und Selbstorganisation, mutiert der sozialdemokratische Gewerkschaftsreformismus der siebziger und achtziger Jahre zunehmend zu einer Instanz, die ihren Beitrag bei Management- und Integrationsstrategien des Kapitals leistet, reale radikal gewerkschaftlich zu führende Kämpfe verhindert und, wo noch nötig, kanalisiert und den Blick versperrt auf gesellschaftlich weiter gehende Perspektiven, die sich den Lohnabhängigen nur in sozialen Kämpfen eröffnen. 

Eine Absage erteilte Hajek der althergebrachten Losung der kommunistischen Gewerkschaftslinken, die Gewerkschaften müssten wieder zu kämpferischen Gewerkschaften der Beschäftigten und nicht der Funktionäre gemacht werden. Ohne einen grundlegenden Bruch mit der vom Kapital entlehnten Leitideologie sei dieser Weg verbaut und die klassische Fraktionsarbeit klassenkämpferischer Minderheiten stoße in immer stärkerem Maße an Grenzen. 

Nichtsdestotrotz verwies er auf eine Reihe von Beispielen, in denen linke Basisgewerkschaften erfolgreiche Klassenkämpfe in den letzten Jahren geführt haben: vor allem galt seine Aufmerksamkeit der französischen Dienstleistungsgewerkschaft SUD (»Solidaire, Unitaire, Democratique«), in der linksradikale Kräfte dominieren und die es in einzelnen Bereichen geschafft hat, die Dominanz der verkrusteten Großgewerkschaften CGT, CFDT und FO zu überwinden und neue Spielräume zu eröffnen. Dass eine Strategie des Aufbaus unabhängiger, linker Basisgewerkschaften nach französischem oder italienischem Muster in Deutschland nach wie vor unrealistisch ist, daran blieb aber kein Zweifel. 

Die Diskussion hinterließ insgesamt mehr offene Fragen als Antworten, was angesichts der festgefahrenen Situation der deutschen Linken und speziell der marginalisierten gewerkschaftlichen Linken auch kaum verwunderlich ist. Es wäre aber sicherlich lohnend, die Debatte im Zuge der Aufarbeitung der Erfahrungen mit neuen Kampfformen von Beschäftigten in den Dienstleistungs-branchen und Billiglohnbereichen des zunehmend deregulierten Arbeitsmarktes fortzusetzen.

Lutz Getzschmann

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