Shlomo Avineri

Hegels Theorie des modernen Staates

Aus dem Englischen von R. u. R. Wiggershaus // © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976 // Originalausgabe: Hegel's Theory of the Modern State © Cambridge University Press 1972

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Kapitel 5: Modernes Leben und soziale Realität

//S. 103:// Wie wir gesehen haben, sind Hegels politische Schriften ein konsequenter und sich allmählich entfaltender Ausdruck seiner in ständiger Konfrontation mit der historischen Realität entwickelten politischen Theorie. Auf der anderen Seite stellen seine systematischen Schriften den Versuch dar, den allgemeinen theoretischen Rahmen zu entwickeln, innerhalb dessen seine Theorie des modernen Staates gerechtfertigt werden kann.

Von allen sich auf die politische Philosophie beziehenden Schriften Hegels ist die »Philosophie des Rechts« die bekannteste. Bevor seine Gedanken jedoch in diesem Werk einen definitiven Ausdruck fanden, hatte Hegel bereits mehrere Versuche unternommen, seine Überlegungen zur politischen Theorie zu systematisieren. Diese frühen Versionen seiner reifen politischen Philosophie zeigen eine bemerkenswerte Kontinuität sowohl in der Fragestellung wie auch in der allgemeinen Richtung der Untersuchung. Einige dieser frühen Versuche enthalten detaillierte Untersuchungen von Problemen, die später in den Grundlinien der Philosophie des Rechts nur kurz zusammengefaßt werden oder auf die dort bloß hingewiesen wird. Diese frühen Versuche sind also für das Verständnis von Hegels politischer Philosophie unentbehrlich, sowohl um ihrer selbst willen als auch als Grundlage seines späteren Denkens;

Jeder, der sich diese verschiedenen Versuche einer systematischen Behandlung politischen Denkens näher ansieht, kommt zu dem Schluß, daß sich Hegel nicht nur immerfort mit denselben Problemen beschäftigte, sondern daß er auch in gewisser Weise die ganze 'Zeit dasselbe Buch zu schreiben versuchte. Wir haben es dabei also gewissermaßen mit frühen Entwürfen der Philosophie des Rechts zu tun. Darauf weisen bereits die Titel der einzelnen Schriften hin. Die Philosophie des Rechts hat den Untertitel Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse: Hegels erster, 1802 veröffentlichter, systematischer Essay politischer Natur hat den Titel Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des //S. 104:// Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften. Die beiden anderen frühen Versuche sind das System der Sittlichkeit und die beiden Versionen der Jenaer Realphilosophie, die alle zu Hegels Lebzeiten nicht veröffentlicht wurden. Ihrer Struktur und ihrem Inhalt nach sind sie deutlich eine Vorstufe zur späteren Rechtsphilosophie.

Vom Naturrecht zum gesellschaftlichen Zusammenhalt

Der Aufsatz über das Naturrecht wurde in dem Kritischen Journal der Philosophie veröffentlicht, das von Hegel und Schelling gemeinsam herausgegeben wurde. Beide betrachteten dieses Journal als ihre stärkste Waffe im Kampf gegen die alte Philosophie. 1801, ein Jahr vor der Veröffentlichung seines Naturrechts-Aufsatzes, hatte Hegel in Jena die erste seinen Namen tragende Druckschrift veröffentlicht: eine Arbeit über die Differenz des Fichteschen und des Schellingschen Systems der Philosophie.[1] Während diese erste Schrift noch deutlich innerhalb des Horizonts der Schellingschen Naturphilosophie verbleibt, versucht Hegel in dem Aufsatz über Naturrecht bewußt, den Geist der Natur überzuordnen und einen unabhängigen philosophischen Standpunkt zu entwickeln - wobei die Terminologie allerdings manchmal noch sehr schellingsch ist.[2]

Ungeachtet des Titels enthält der Aufsatz mehr als bloß eine Abhandlung über das Naturrecht. Hegel unternimmt darin den Versuch einer radikalen Kritik sowohl des Kantischen formalen Rationalismus als auch des englischen Empirismus. Er sucht nach einem Fundament der Gesetzgebung, das die teilweise Wahrheit sowohl des apriorischen Rationalismus als auch des Empirismus in sich enthält.

Die Hauptschwäche der Empiristen sieht Hegel darin, daß sie versuchten, den Kontext von sozialen Institutionen wie Ehe oder Strafe aus den empirischen Eigenschaften der diesen Namen tragenden historischen Arrangements abzuleiten. Nach Hegels Auffassung sagt eine solche Aufzählung empirischer Funktionen nichts über Wesen und Natur solcher Institutionen aus.[3] Ferner: Wenn die Empiristen von »Zwang« //S. 105:// oder »Notwendigkeit« sprechen, verwenden sie genauso abstrakte Kategorien wie die traditionellen Metaphysiker. Ungeachtet ihrer gegenteiligen Behauptungen rekurrieren die Empiristen auf eine Reihe von verschwiegenen Prämissen. Letztlich handelt es sich bei ihren Ansichten um Auffassungen allein des »Verstandes«, der bloß einzelne Aspekte wahrnimmt, nicht jedoch die dazugehörige Totalität.[4]

Die Unhaltbarkeit der traditionellen Naturrechtstheorien zeigt sich für Hegel jedoch in der politischen Sphäre selber. Bei Rousseau wird der allgemeine Wille als die höchste Gesetzesinstanz der politischen Ordnung postuliert. Das Problem ist jedoch, »wie dieser allgemeine Wille nothwendig in den Subjekten, welche dessen Organe und Verwalter sind, reell sey«.[5] Die Naturrechtstheorien pflegen dieses Dilemma dadurch zu lösen, daß sie außer der Regierung noch eine zweite Quelle der Legitimität postulieren, nämlich Aufsichtsorgane, die die Regierung kontrollieren und ihr Zügel anlegen. Damit wird aber nach Hegels Ansicht eine Dichotomie geschaffen, die mehr Probleme aufwirft, als sie löst. Denn das Problem ist ein doppeltes: 1) wie verhindert man, daß die Regierung, die den Anspruch erhebt, den allgemeinen Willen zu verkörpern, auf die Bürger Zwang ausübt; 2) wie verhindert man, daß die Bürger die Regierung unmittelbar ihrer unstrukturierten Kontrolle unterwerfen. Nach Hegels Ansicht gelingt es den Naturrechtstheorien nicht, einen mittleren Weg zwischen Hobbes und Robespierre zu finden.  

Hegel kritisiert im einzelnen einige der Versuche, dieses Problem zu lösen. So kritisiert er zum Beispiel Fichtes Gedanken eines Ephorats, eines Kontrollorgans, das die Handlungen der Regierung überwachen soll. Hegel zeigt, daß Fichtes Ephorat in Wirklichkeit von dem guten Willen der Regierung abhängig ist und sie folglich nicht wirksam kontrollieren kann. Würde dagegen das Ephorat reale politische Macht erhalten und von der Regierung wirklich unabhängig, würde es zu einer Parallelregierung werden und die Konsequenz wäre ein faktischer Stillstand, der zur politischen Lähmung führen würde.[6]

Hegel untersucht auch die andere, den Naturrechtstheorien innewohnende Möglichkeit, nämlich die, die Volksvertretung zu einem wirksamen Organ der höchsten Kontrolle zu //S. 106:// machen. Die Gefahren, die Hegel bei dieser Möglichkeit sieht, sind deutlich ein Echo auf die mit den gewalttätigen Phasen der Französischen Revolution verbundenen politischen Wirren:

Endlich aber, wenn die obersten Gewalthaber freiwillig diesen zweiten Repräsentanten des allgemeinen Willens es gestatten wollten, die Gemeinde zusammenzurufen, daß diese zwischen ihnen und den Aufsehern urtheile, - was wäre mit solchem Pöbel anzufangen, der auch in Allem beaufsichtigt, was Privatsache ist, noch weniger ein öffentliches Leben führt, und der hiermit zum Bewußtseyn des gemeinsamen Willens, und zum Handeln im Geist eines Ganzen schlechthin nicht, sondern allein zum Gegentheil gebildet ist.[7]

Hegel sieht klar, daß Rousseaus Vorschlag, die Bürger zu zwingen, frei zu sein, das Problem umgeht. Was Hegel sucht, ist etwas, das nicht sehr verschieden ist von dem, was er - in seinen theologischen Schriften - in der antiken Polis gefunden hatte: das Bewußtsein, zu einer Gemeinschaft zu gehören, wobei die Gemeinschaft nicht bloß unter instrumentellen Gesichtspunkten gesehen wurde. Zu einer solchen Gemeinschaft, zu einem Volk zu gehören, bedeutet für Hegel »absolute Sittlichkeit« - nicht, weil das Volk als solches ein absolutes ethisches Ideal verkörpert, sondern weil diese Zugehörigkeit absolut statt bloß relativ ist, weil sie ein Selbstzweck statt ein bloßes Mittel für Privatzwecke wie Sicherheit oder dergleichen ist.[8]

Hier taucht wieder die antike virtus auf. Aber obgleich er sich beredt dazu äußert, rechnet Hegel doch nicht mit ihrer Wiedererweckung, wie einige seiner Bemerkungen im Hinblick auf Rousseau deutlich zeigen. Auch hier kommt Hegel wieder auf den historischen Kontext des Untergangs der antiken Tugend zu sprechen. Im späten Rom besaßen die Bürger noch persönlichen Mut, der öffentliche aber war verschwunden. Der persönliche Status löste den öffentlichen ab, und dieses Absinken in Privatheit charakterisierte den Niedergang und Fall des Römischen Reiches.[9]

Diese Privatisierung des Lebens - eine moderne Parallele dazu sah Hegel in den Verhältnissen des alten Deutschen Reiches - betrachtete Hegel als die größte Gefahr für die absolute Sittlichkeit, für die politische virtus. Hegel hält wie Plato die endlose Expansion der Gesetzgebung und //S. 107:// Rechtsprechung für schädlich, hat dafür aber seine eigenen Gründe: je mehr Prozesse es in einer Gesellschaft gibt, desto mehr - so kann man daraus folgern - verfolgen die Mitglieder dieser Gesellschaft ihre eigenen, persönlichen Privatinteressen und vernachlässigen sie die öffentlichen Angelegenheiten. Unter solchen Bedingungen besteht die Gefahr, daß der Staat zu einem bloßen Exekutor der ökonomischen Interessen seiner Bürger wird. Diese Gefahr muß vermieden werden:  

(Es) ist nicht genug,... daß eine vollkommene Sicherheit und Leichtigkeit des Erwerbes vorhanden sey. Dieses Letzte, als absoluter Grundsatz gedacht, schlösse vielmehr eine negative Behandlung des Systems des Besitzes aus, und ließe es vollkommen gewähren, und sich absolut festsetzen. Aber vielmehr muß das sittliche Ganze es in dem Gefühl seiner innern Nichtigkeit erhalten; und sein Emporschießen in Beziehung auf die Quantität, und die Bildung zu immer größerer Differenz und Ungleichheit, als worauf seine Natur geht, hindern. Was auch in jedem Staate - mehr bewußtlos und in der Gestalt einer äußern Naturnothwendigkeit, der er überhoben zu seyn sich selbst wünschte, durch immer größern mit dem Wachsthum des Systems des Besitzes wachsenden Aufwand des Staats selbst, und dem gemäß steigenden Auflagen, und also Verminderung des Besitzes und Erschwerung des Erwerbens: am Meisten durch den Krieg, der was dahin geht in mannigfaltige Verwirrung bringt; so wie durch Eifersucht anderer Stände, und Bedrückung des Handels, theils mit Willen, theils wider ihren Willen durch Unverstand usw. - bis auf solche Grade bewirkt wird, in welchen die positive Sittlichkeit des Staats selbst die Unabhängigkeit von dem rein reellen Systeme, und die Behauptung der negativen und einschränkenden Haltung erlaubt.[10]

Der Gegensatz zu den klassischen Naturrechtstheorien könnte kaum deutlicher zum Ausdruck gebracht werden: auf keinen Fall sei der Staat als ein Instrument zu begreifen, dessen Ziel die Erhaltung und Verteidigung des Eigentums ist. Hegel geht in diesem Abschnitt aber noch einen Schritt weiter: er sieht darin nicht nur ein Postulat, sondern das innere Grundprinzip des Staates, zu dessen Wesen es gehört, in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen, statt das Eigentum zu beschützen. Je reicher eine Gesellschaft ist, desto mehr Steuern werden ihr vom Staat auferlegt. Besteuerung und Krieg sind die großen Gleichmacher; beide sind auf die ihnen jeweils eigene Art Garanten dafür, daß der Staat nicht zu einer Front für ökonomische Interessen wird. Darin sieht Hegel deutlich die verborgene Hand des dem Staat immanenten Allgemeinen //S. 108:// am Werk, die, wenn auch - wie Hegel es ausdrückt - »bewußtlos und in der Gestalt einer äußern Naturnotwendigkeit«, in jeder historischen Gesellschaft wirkt.

Hegels Ziel ist es, diese geheime Vernunft explizit, das Verborgene allgemein bewußt zu machen. Dieser konstruktive Aspekt von Hegels Überlegungen kommt nicht so deutlich zum Ausdruck, weil Hegels Schrift als eine Kritik an den Naturrechtstheorien gedacht war und nicht als eigenständige Darstellung von Hegels eigenen Ansichten. Dennoch gibt es einige Hinweise bezüglich der letzteren: die alte virtus kann nicht wiederbelebt werden, und zwar vor allem deshalb, weil das Leben eine Stufe erreicht hat, wo die ökonomischen Interessen eine wesentliche Rolle spielen und legitimiert werden müssen. Die von ihm sonst so beklagten sozialen Unterschiede hält er angesichts solcher Verhältnisse für naturnotwendig: sie könnten dazu dienen, ökonomische Interessen in das Allgemeine des Staates zu integrieren.

An diesem Punkt gelangt Hegel zu seiner Theorie der gesellschaftlichen Stände, die später sehr viel klarer und präziser im System der Sittlichkeit in der Jenaer Realphilosophie und in der Philosophie des Rechts wieder auftaucht. Sie ist im Kern ein Versuch, die klassische virtus durch die Vermittlung des Systems der Bedürfnisse in das moderne differenzierte gesellschaftliche Leben zu integrieren. Nicht jeder kann ein öffentliches Leben führen; es sollte aber auch nicht das ganze Leben den Gesetzen des Marktplatzes unterworfen sein. Darum sollte es in jeder Gesellschaft zwei Stände geben, einen, der sich dem öffentlichen Leben widmet, den »absoluten« Stand, und einen anderen, der sich ökonomisch betätigt. 

Der absolute Stand besitzt »das reale absolute Bewußtseyn der Sittlichkeit«; seine Freiheit besteht in der absoluten Abstraktion von den unmittelbaren materiellen Bedingungen des Lebens. Das zeigt sich nicht nur in seiner Bereitschaft, dem Ganzen zu dienen, statt die eigenen partikularen Ziele zu verfolgen, sondern auch in seiner Bereitschaft, für das Allgemeine zu sterben. Das ist der Höhepunkt seiner absoluten Identifikation mit dem Allgemeinen.[11]

Es bestimmt sich hiernach die Potenz dieses Standes so, daß er in dem Besitz überhaupt und in der Gerechtigkeit, die hierin über Besitz möglich ist, sich befindet, daß er zugleich ein zusammenhängendes System konstituiert: //S. 109:// und - unmittelbar dadurch, daß das Verhältnis des Besitzes in die formelle Einheit aufgenommen ist, - jeder Einzelne (da er an sich eines Besitzes fähig ist) gegen Alle, als Allgemeines, oder als Bürger, in dem Sinne als bourgeois, sich verhält; für die politische Nullität, nach der die Mitglieder dieses Standes Privatleute sind, den Ersatz in den Früchten des Friedens und des Erwerbes, und in der vollkommenen Sicherheit des Genusses derselben findet, sowohl insofern sie aufs Einzelne als auf das Ganze desselben geht.[12]

Hegels Versuch, die Grenzen der Naturrechtstheorien zu transzendieren, ist indes ernstlich behindert durch seine Unfähigkeit oder sein Versäumnis, das Verhältnis zwischen diesen beiden Ständen im einzelnen zu untersuchen. Auch bleibt seine Theorie der gesellschaftlichen Stände ohne Bezug auf eine theoretische Grundlage oder allgemeine philosophische Prinzipien. Es ist, als ob er sie nachträglich eingefügt hätte; sie erscheint wie eine Abschwächung platonscher Gedanken. Erst in einem späteren Stadium, als er seine Auffassungen über Arbeit und den Wirtschaftsprozeß, die seit seiner Bekanntschaft mit der politischen Ökonomie bereits in seinen frühen Schriften enthalten waren, in eine allgemeine Theorie der Stellung des Menschen im Universum einrückte, entwickelte Hegel die theoretische Dimension dieses Ständesystems. Das läßt sich an Hand des Manuskripts über das System der Sittlichkeit und der beiden als Realphilosophie I und Realphilosophie II bekannten Vorlesungen verfolgen, denen wir uns nun zuwenden wollen.

Arbeit, Entfremdung und die Macht des Marktes

Im System der Sittlichkeit und in den beiden Versionen der Realphilosophie entwickelt Hegel zum erstenmal seine Theorie dessen, was er später den »objektiven Geist« nennen wird -wobei die Realphilosophie auch noch vieles andere enthält.[13] Beide Texte blieben zu Hegels Lebzeiten unveröffentlicht. Das System der Sittlichkeit, um 1802 bis 1803 verfaßt, wurde in vollständiger Form zum erstenmal 1913 von Lasson veröffentlicht, nachdem Mollat 1893 eine stark gekürzte Ausgabe der Texte publiziert hatte. Die beiden Versionen der als Realphilosophie I und Realphilosophie II bekannten Vorlesungen //S. 110://, die Hegel 1803/04 bzw. 1805/06 an der Jenaer Universität hielt, wurden zum erstenmal von Hoffmeister Anfang der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts veröffentlicht.

Eine sorgfältige Analyse dieser beiden den meisten traditionellen Hegel-Kommentatoren unbekannten Texte bzw. Textgruppen zeigt, daß Hegels Hauptinteresse zwar stets dem Versuch galt, ein umfassendes System allgemeiner philosophischer Spekulation aufzustellen, daß dabei aber immer seine Vorliebe für Probleme gesellschaftlicher und politischer Natur im Mittelpunkt seines theoretischen Interesses stand. Diese Texte zeigen auch eine bemerkenswerte Kontinuität in Hegels politischem Denken und machen deutlich, daß die politische Philosophie der Rechtsphilosophie nicht einfach als bloße Rechtfertigung der Restauration von 1815 interpretiert werden kann, da die meisten der dazu gehörigen Themen und Gedanken auf Hegels Überlegungen während seiner Jenaer Periode zurückgehen.[14] Obgleich das System der Sittlichkeit und die Realphilosophie in einer Reihe von Punkten differieren, sollen sie hier zusammen behandelt werden.

Das System der Sittlichkeit versucht den Kontext darzustellen, in dem eine Philosophie der gesellschaftlichen Beziehungen entwickelt werden kann. Sittlichkeit definiert Hegel als die Identifikation des Individuums mit der Totalität seines gesellschaftlichen Lebens.[15] In seinen Ausführungen geht es Hegel darum, die Vermittlungen zu beschreiben, die nötig sind, damit das individuelle Bewußtsein in dieser Totalität sich selber findet. 

Hegels Ausgangspunkt ist die Natur; das erste Moment des Bewußtseins ist die Erkenntnis seiner Getrenntheit von der Natur. Diese Erkenntnis ruft den Drang hervor, diese Trennung zu überwinden und die Natur in sich zu integrieren. Das Bewußtsein sucht sich selber in seinen Objekten wiederzuerkennen. Das Gefühl der Trennung ist das Bedürfnis, angesichts dessen sich der Mensch auf die Objekte der Natur bezieht und sie unter seine Subjektivität zu subsumieren sucht, um so die anfängliche Identität von Subjekt und Objekt wiederherzustellen. Der Mensch möchte das Objektive vernichten. Hegel stellt dies als einen dreistufigen Prozeß dar: (a) Bedürfnis; (b) die Überwindung und Erfüllung des Bedürfnisses; und (c) Genuß.[16] Durch den Genuß erzielt das Individuum //S. 111:// die Überwindung der Trennung, aber nur auf einer unmittelbaren Ebene: dieser Genuß, in dem das Objekt vernichtet wird, ist rein sinnlich und bloß negativ. Er ist beschränkt auf ein einzelnes Objekt und kann nicht verallgemeinert werden. Das Bewußtsein der Trennung bleibt nach jedem einzelnen Akt der Subsumtion weiter bestehen.

Das Aufkommen des Eigentums wird von Hegel als ein weiterer Versuch des Menschen angesehen, sich die Natur anzueignen, dieses Mal aber auf einer höheren Stufe. Die Aneignung des Naturobjektes geschieht nicht mehr, um es zu negieren und zu vernichten, vielmehr wird es jetzt bewahrt. Aber die Bedeutung dieses angeeigneten Objekts liegt nun nicht mehr in seiner Beziehung zum aneignenden Subjekt, sondern vielmehr in der Tatsache, daß andere Subjekte es als ausschließlich zu diesem einen besonderen Subjekt gehörig betrachten:

Das Recht des Besitzes unmittelbar geht gegen die Dinge, nicht gegen einen Dritten. Der Mensch hat das Recht, in Besitz zu nehmen, was er als Einzelner kann. Er hat das Recht; dies liegt in seinem Begriffe, Selbst zu sein; dadurch ist er die Macht gegen alle Dinge. Aber seine Besitznahme erhält auch die Bedeutung, einen Dritten auszuschließen. Was ist in Ansehung dieser Bedeutung das den Andern Verbindende? Was darf ich in Besitz nehmen ohne Unrecht des Dritten?[17]

Von diesen Überlegungen leitet Hegel das transsubjektive, nicht-individuelle Wesen des Eigentums ab: das Eigentum gehört zu der Person als etwas von anderen Anerkanntes; es kann niemals eine der Anerkennung durch andere vorhergehende, dem Individuum innewohnende Qualität sein. Während Besitz auf das Individuum bezogen ist, ist Eigentum auf die Gesellschaft bezogen: da Besitz erst durch die Anerkennung der anderen zu Eigentum wird, ist Eigentum ein soziales Attribut. Dem Hegelschen Eigentumsbegriff liegt also keine individualistische, sondern eine soziale Prämisse zugrunde, und das Eigentum vermag niemals eine unabhängige Größe in seinem System zu werden. Das ist darum wichtig, weil Hegel, obgleich er sich bei seiner Beschreibung des ökonomischen Prozesses, wie wir gesehen haben, auf die klassische politische Ökonomie stützt, eine völlig andere Ansicht über das Wesen des Eigentums hat. Das Eigentum setzt immer gesellschaftlichen //S. 112:// Konsensus, Bewußtsein voraus. Die bloße Tatsache des Besitzes genügt nicht.

Eigentum ist so für Hegel ein Moment im Kampf des Menschen um Anerkennung.[18] Es entspringt nicht bloß physischen Bedürfnissen und hat so eine anthropologische Bedeutung, die es in der ganzen weiteren Philosophie Hegels beibehielt. Aber auch bei dem in Eigentum übergegangenen Besitz bleibt ein Moment des Zufälligen bestehen, da die Gegenstände des Eigentums in völlig willkürlicher Weise in Beziehung zu dem oder jenem Individuum stehen.

An dieser Stelle seiner philosophischen Anthropologie führt Hegel den Begriff der Arbeit in sein System ein. Nur durch Arbeit, meint Hegel, »ist die Zufälligkeit des Besitzergreifens aufgehoben«.[19] Arbeit ist nach Hegel die Sublimierung primitiver Befriedigung; in der Arbeit »wird ... abstrahiert von dem Genuß, d. h. es kommt nicht dazu; denn hier ist jede Abstraktion eine Realität, ein Sein; das Objekt nicht vernichtet, als Objekt überhaupt, sondern so, daß ein andres an seine Stelle gesetzt wird«.[20]

Die Arbeit ist so ein vermitteltes Überwinden des Gefühls der Trennung von dem Objekt; darüber hinaus ist sie ihrer Natur nach der Ort einer Synthesis des Subjektiven und des Objektiven. Das Werkzeug erleichtert diese Vermittlung; durch die Arbeit gelangt der Mensch zur Anerkennung seitens anderer. Arbeit ist das universale Bindeglied zwischen den Menschen; sie ist »die allgemeine Wechselwirkung und Bildung des Menschen ... ein Anerkennen, das gegenseitig ist, oder die höchste Individualität«.[21] In der Arbeit wird der Mensch »Allgemeinheit für den andern, aber der andre ebenso«.[22]

Die Arbeit verwandelt also die Triebe aus anfänglich vernichtenden in konstruktive. Während der primitive Mensch wie die Tiere die Natur konsumiert und den Gegenstand zerstört, liefert die Arbeit dem Menschen das gewünschte Objekt nicht durch Negation, sondern durch Wiedererschaffung. Während das Ziel der Produktion so Anerkennung durch die Anderen ist, ist ihr Motiv noch das Bedürfnis. Das Bewußtsein, nach einem Gegenstand verlangend, veranlaßt den Menschen, ihn zu erschaffen, das Bedürfnis aus einer subjektiven Begierde in eine äußere objektive Kraft zu verwandeln. Die Arbeit ist //S. 113:// deshalb immer intentionale, und nicht instinktiv, denn sie repräsentiert die Fähigkeit des Menschen, seine eigene Welt zu erschaffen. Die Produktion ist ein Mittel zur Selbstverwirklichung der Vernunft in der Welt. In einer das spätere Diktum über das Vernünftige und das Wirkliche vorwegnehmenden Passage heißt es bei Hegel: »Die Vernunft überhaupt existiert nur in ihrem Werke; sie wird nur in ihrem Produkt, schaut sich unmittelbar als ein Anderes und sie selbst an.«[23]

An Hegels Auffassung, daß die Arbeit das Mittel ist, durch das der Mensch sich mit der Welt vertraut macht und sowohl die Welt als auch sich selbst entwickelt, schließt sich die Erkenntnis an, daß die Bedingungen der Arbeit nicht nur die Verwirklichung des Menschen mit sich bringen, sondern auch die Möglichkeit seiner Degradierung. Die Arbeit, wie sie in der Geschichte auftritt, hat für Hegel einen doppelten Aspekt. Auf der einen Seite ist sie die Entäußerung und Objektivierung der Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen: durch die Arbeit wird die Natur zu einem Teil der Naturgeschichte des Menschen: »Ich habe etwas geleistet, ich habe mich dessen entäußert; diese Negation ist positiv; Entäußerung ist ein Erwerben.«[24] Aber die Arbeit erzeugt auch Bedingungen, die den Versuch eines Menschen, sich in seine Welt zu integrieren, hemmen. Dies Element der Entfremdung im Prozeß der Arbeit ist nach Hegel keine Randerscheinung der Arbeit, die behoben oder reformiert werden kann, sondern ist etwas Fundamentales und der Struktur der menschlichen Gesellschaft Immanentes, und es gehört zu den Charakteristika der modernen Gesellschaft, daß diese Seite ständig intensiviert wird. An dieser Stelle der Hegelschen Untersuchungen haben wir es mit einer frühen und äußerst radikalen Erkenntnis der Tatsache zu tun, daß die Entwicklung der modernen Gesellschaft - die von Hegel so begrüßt wurde - den traditionellen Problemen des menschlichen Lebens noch eine weitere Last hinzufügt.

Diese Vision vom Funktionieren der modernen Gesellschaft entspringt bei Hegel nicht einer empirischen Untersuchung der sozialen oder ökonomischen Verhältnisse im damaligen Deutschland. Seine Darstellung dieser Verhältnisse in der Verfassung Deutschlands schildert keine vitale oder gar aktive und produktive Gesellschaft. Hegel bezieht sich auch nicht //S. 114:// auf andere, entwickeltere Gesellschaften. Seine Ansichten sind vielmehr ein Destillat des in der modernen politischen Ökonomie präsentierten und auf die Ebene eines philosophischen Paradigmas gehobenen Gesellschaftsmodells.[25]

Der problematische Aspekt der Arbeit hängt mit ihrer gesellschaftlichen Natur zusammen und ist deshalb unvermeidlich, Wir haben gesehen, daß Arbeit für Hegel die Vermittlung ist, durch die der Mensch zu anderen Menschen in Beziehung tritt. Dem fügt Hegel jetzt eine weitere Dimension hinzu: in der Arbeit produziert der Mensch nicht nur für sich selbst, sondern, auf der Basis der Gegenseitigkeit, ebenso für andere. Arbeit wird zur gesellschaftlichen Arbeit; die Ziele der Menschen beim Arbeitsprozeß sind nicht bloß ihre individuellen Ziele, sondern umfassender, transindividuell: »Arbeit Aller und für Alle und Genuß - Genuß Aller. Jeder dient dem Andern und leistet Hilfe, oder das Individuum hat hier erst als einzelnes Dasein; vorher ist es nur abstraktes oder unwahres.«[26]

Im Gegensatz zu der atomistischen, individualistischen Auffassung der Arbeit, die die Arbeit als das Primäre ansieht und den Tausch als etwas auf dem Überfluß basierendes Sekundäres und Abgeleitetes hat für Hegel Arbeit immer eine reziproke Beziehung zur Voraussetzung, wird der Tausch unter ihre kognitiven Aspekte subsumiert. Niemand produziert für sich allein, jegliche Produktion setzt den anderen voraus - daher ist ein grundlegendes Element der Anerkennung der Arbeit immer immanent.

Diese Reziprozität führt zu einem neuen Problem: obgleich jedes menschliche Bedürfnis konkret ist, ist die Totalität der Bedürfnisse, für die die Totalität der Produktion stattfindet, abstrakt, und sie kann erst dann konkret ausgedrückt werden, wenn der gesamte Produktions- und Distributionsprozeß vollendet ist. Die Produktion wird daher zu etwas Abstraktem, und die Arbeitsteilung scheint sich an den Bedürfnissen der Produktion und nicht an den Bedürfnissen der Produzenten zu orientieren. Der Mensch produziert nicht die Objekte seiner eigenen spezifischen Bedürfnisse, sondern ein allgemeines Produkt, das er dann gegen den konkreten Gegenstand oder die konkreten Gegenstände seiner Bedürfnisse eintauschen kann. Er produziert Waren, und je verfeinerter sein //S. 115:// Geschmack wird, nach desto mehr Objekten hat er Verlangen, die er nicht selber produzieren, sondern nur durch die Produktion von noch mehr Gegenständen für den Tausch erlangen kann. Auf diese Weise kommt es zu einer allgemeinen Abhängigkeit eines jeden menschlichen Wesens von der Allgemeinheit der Produzenten; es kommt zu einer grundlegenden Veränderung des Charakters der Arbeit:

Weil nur für das Bedürfnis als abstraktes Fürsichsein gearbeitet wird, so wird auch nur abstrakt gearbeitet ... Allgemeine Arbeit [ist so] Teilung der Arbeit, Ersparnis; zehn können soviel Stecknadeln machen als hundert. Jeder Einzelne also, weil er hier Einzelner ist, arbeitet für ein Bedürfnis. Der Inhalt seiner Arbeit geht über sein Bedürfnis hinaus; er arbeitet für die Bedürfnisse Vieler, und so tut es jeder. Jeder befriedigt also die Bedürfnisse Vieler und die Befriedigung seiner vielen besonderen Bedürfnisse ist die Arbeit vieler Anderer. Da seine Arbeit diese abstrakte ist, so verhält er sich als abstraktes Ich oder nach der Weise der Dingheit, nicht als umfassender, inhaltreicher umsichtiger Geist, der einen großen Umfang beherrscht und über ihn Meister ist. Es hat keine konkrete Arbeit, sondern seine Kraft besteht im Analysieren, in der Abstraktion, in der Zerlegung des Konkreten in viele abstrakte Seiten.[27]

Hier wird die dialektische Natur der gesellschaftlichen Arbeit deutlich: einerseits macht sie den Menschen dadurch, daß sie Soziabilität, eine allgemeine Abhängigkeit eines jeden von allen erzeugt, zu einem allgemeinen Wesen. Auf der anderen Seite schafft diese reziproke Befriedigung der Bedürfnisse eine Kluft zwischen dem konkreten Individuum und seinen besonderen und konkreten Bedürfnissen. Indem der Einzelne für alle arbeitet, arbeitet er nicht mehr für sich selber; ein Element der Distanz und ein Bedürfnis nach Vermittlung wird folglich /wischen seine Arbeit und die Befriedigung seiner Bedürfnisse geschoben. Gesellschaftliche Arbeit hat immer Entfremdung zur Folge:

Der Mensch befriedigt seine Bedürfnisse wohl damit, aber nicht mit diesem bestimmten von ihm Bearbeiteten, sondern daß es seine Bedürfnisse befriedige, wird es ein Anderes als es ist. Der Mensch erarbeitet sich nicht mehr als das, was er braucht, oder er braucht das nicht mehr, was er sich erarbeitet hat; sondern es wird statt der Wirklichkeit der Befriedigung seiner Bedürfnisse nur die Möglichkeit dieser Befriedigung; seine Arbeit wird eine formale, abstrakt allgemeine, eine einzelne; er schränkt sich auf die Arbeit für eins seiner Bedürfnisse ein und tauscht sich dafür das für seine andern Bedürfnisse Nötige ein.[28]

//S. 116:// Diese allgemeine Abhängigkeit des Menschen vom Menschen erzeugt, während sie das allgemeine Wesen des Menschen zur Geltung bringt, gleichzeitig eine über den Menschen herrschende Macht, die seiner Kontrolle entgleitet. Was die Menschen unter diesen Bedingungen produzieren, sind nicht Objekte ihres unmittelbaren Bedürfnisses, sondern Waren:

Das System des Bedürfnisses ist oben formell als System der allgemein gegenseitigen physischen Abhängigkeit voneinander begriffen worden. Keiner ist für die Totalität seines Bedürfnisses für sich selbst. Seine Arbeit oder, welche Weise des Vermögens der Befriedigung seines Bedürfnisses, sichert ihm nicht diese Befriedigung. Es ist eine fremde Macht, über welche er nichts vermag, von welcher es abhängt, ob der Überfluß, den er besitzt, für ihn eine Totalität der Befriedigung ist.[29]

Je größer die Teilung und Spezialisierung der Arbeit ist, desto mehr Waren können produziert werden; je weniger die Arbeit mit der unmittelbaren Befriedigung der Produzenten zu tun hat, desto produktiver wird sie. So erreicht der Mensch einen immer größeren Komfort um den Preis einer immer größeren Abstraktion und Entfremdung im Arbeitsprozeß selber:

Seine Arbeit und sein Besitz sind nicht, was sie für ihn sind, sondern was sie für Alle sind. Die Befriedigung der Bedürfnisse ist eine allgemeine Abhängigkeit Aller voneinander; es verschwindet für Jeden alle Sicherheit und Gewißheit, daß seine Arbeit als einzelne seinen Bedürfnissen unmittelbar gemäß ist; er wird als einzelnes Bedürftiges ein Allgemeines.[30]

Der Arbeitsprozeß, der ursprünglich die Anerkennung des Menschen durch den anderen beinhaltete und das Ziel hatte, für jeden eine eigene objektive Welt zu erzeugen, wird zu einem Prozeß, über den der Mensch jegliche Kontrolle verliert. Der Mensch ist weit davon entfernt, durch sein kreatives Bewußtsein, das heißt Arbeit, in die objektive Welt integriert zu sein. Die abstrakte Natur der Arbeit und die Arbeitsteilung entfremden ihn völlig seiner objektiven Welt. So stößt Hegel, auf die realen Bedingungen der Fabrikarbeit; seine allgemeine Anthropologie der Arbeit wird zur Gesellschaftsanalyse. Adam Smith wiedergebend schreibt Hegel:

Die Vereinzelung der Arbeit vergrößert die Menge des Bearbeiteten; an einer Stecknadel arbeiten in einer englischen Manufaktur 18 Menschen  jede hat eine besondre und nur diese Seite der Arbeit; ein Einzelner würde vielleicht nicht 120, nicht eine machen können; jene 18 Arbeiten unter 10 Menschen verteilt, machen 4000 des Tags; aber auf die Arbeit dieser zehn, //S. 117:// wenn sie unter 18 arbeiteten, würden 48 000 in einem Tag kommen. Aber in demselben Verhältnisse wie die produzierte Menge steigt, fällt der Wert der Arbeit. Die Arbeit wird um so absolut toter, sie wird zur Maschinenarbeit, die Geschicklichkeit des Einzelnen um so unendlich beschränkter, und das Bewußtsein der Fabrikarbeiter wird zur letzten Stumpfheit herabgesetzt; und der Zusammenhang der einzelnen Art von Arbeit mit der ganzen unendlichen Masse der Bedürfnisse wird ganz unübersehbar und eine blinde Abhängigkeit, so daß eine entfernte Operation oft die Arbeit einer ganzen Klasse von Menschen, die ihre Bedürfnisse damit befriedigte, plötzlich hemmt, überflüssig und unbrauchbar macht.[31]

Diese Analyse zeigt eindeutig, daß Hegel als einer der frühesten radikalen Kritiker des modernen Industriesystems angesehen werden muß. Hegel zeigt dann die notwendige Verbindung zwischen dem Aufkommen der Maschinen und der Verstärkung der Entfremdung. Er nimmt dabei eine mittlere Position zwischen denen, die die Maschine idealisieren, und den Maschinen-Zerstörern ein: die durch die Einführung der Maschine verursachte Entfremdung sehr wohl sehend, betrachtet er sie andererseits als ein notwendiges Element der anthropologischen Bestimmung der auf einer ständig wachsenden Produktion basierenden modernen Gesellschaft. Ursprünglich, so meint Hegel, waren die Werkzeuge bloß die Vermittlung zwischen dem Menschen und seiner äußeren Welt. In dieser Funktion blieben sie stets passive Gegenstände in den Händen der Produzenten. Aber:

In der Maschine hebt der Mensch selbst diese seine formale Tätigkeit auf und läßt sie ganz für ihn arbeiten. Aber jener Betrug, den er gegen die Natur ausübt und mit dem er innerhalb ihrer Einzelheit stehen bleibt, rächt sich gegen ihn selbst; was er ihr abgewinnt, je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst. Indem er die Natur durch mancherlei Maschinen bearbeiten läßt, so hebt er die Notwendigkeit seines Arbeitens nicht auf, sondern schiebt es nur hinaus, entfernt es von der Natur und richtet sich nicht lebendig auf sie als eine lebendige; sondern es entflieht diese negative Lebendigkeit, und das Arbeiten, das ihm übrig bleibt, wird selbst maschinenmäßiger; er vermindert sie nur fürs Ganze, aber nicht für den Einzelnen, sondern vergrößert sie vielmehr, denn je maschinenmäßiger die Arbeit wird, desto weniger Wert hat sie, und desto mehr muß er auf diese Weise arbeiten.[32]

Der immanente Zusammenhang zwischen Arbeitsteilung, Mechanisierung und durch die Arbeit bewirkte Entfremdung //S. 118:// rückt immer stärker in den Mittelpunkt von Hegels Überlegungen:

Diese Arbeit, die auf den Gegenstand als ein Ganzes geht, verteilt sich in sich selbst und wird ein einzelnes Arbeiten; und dieses einzelne Arbeiten wird eben dadurch mechanischer, weil die Mannigfaltigkeit aus ihm ausgeschlossen, also es selbst ein allgemeineres, der Ganzheit fremderes wird. Diese Art des Arbeitens, die sich so verteilt, setzt zugleich voraus, daß das Übrige der Bedürfnisse auf eine andre Weise erhalten wird, da diese auch bearbeitet sein müssen, - durch die Arbeit anderer Menschen. In dieser Abstumpfung der mechanischen Arbeit liegt aber unmittelbar die Möglichkeit, sich ganz von ihr abzutrennen; weil die Arbeit ganz quantitativ ohne Mannigfaltigkeit ist, also das Subsumieren derselben in der Intelligenz sich aufhebt, so kann ein absolut Äußeres, ein Ding, durch sein Sichgleichsein und ebenso in seiner Arbeit als seine Bewegung gebraucht werden. Es kommt nur darauf an, ein ebenfalls totes Prinzip der Bewegung für dasselbe zu finden, eine sich differentierende Gewalt der Natur wie die Bewegung des Wassers, des Windes, des Dampfes usw., und das Werkzeug geht in die Maschine über, indem die Unruhe des Subjektiven, des Begriffs, selbst außer dem Subjekt gesetzt wird.[33]

Wir stoßen hier, in einem der höchst spekulativen Zeugnisse der deutschen idealistischen Philosophie, auf eine kaum zu übertreffende Einsicht in das Funktionieren der modernen. Industriegesellschaft. Von einer apriorischen philosophischen Anthropologie ausgehend, gelangt Hegel zur Integration der Ergebnisse der politischen Ökonomie in ein philosophisches System - ein Unternehmen, dessen systematische Struktur fast identisch ist mit dem vierzig Jahre später von Marx in Angriff genommenen Programm. Wieviel von Marxens späteren Überlegungen sich bereits, explizit oder implizit, in Hegels frühen Texten finden - das festzustellen wäre Gegenstand einer eigenen Diskussion.[34]

Eine warenproduzierende Gesellschaft braucht nach Hegel ein allgemeines, abstraktes Mittel, das zwischen Arbeit und Subjekt zu vermitteln vermag. Diese Aufgabe erfüllt das Geld:

Diese mannigfachen Arbeiten der Bedürfnisse als Dinge müssen ebenso ihren Begriff, ihre Abstraktion realisieren; ihr allgemeiner Begriff, muß ebenso ein Ding sein, wie sie, das aber als Allgemeines alle vorstellt. Das Geld ist dieser materielle, existierende Begriff, die Form der Einheit, oder der Möglichkeit aller Dinge des Bedürfnisses. Das Bedürfnis und die Arbeit in diese Allgemeinheit erhoben, bildet so für sich in einem großen Volk ein ungeheures System von Gemeinschaftlichkeit und gegenseitiger  //S. 119:// Abhängigkeit, ein sich in sich bewegendes Leben des Toten, das in seiner Bewegung blind und elementarisch sich hin und her bewegt, und als ein wildes Tier einer beständigen strengen Beherrschung und Bezähmung bedarf.[35]

Die höchste Macht in der warenproduzierenden Gesellschaft ist die Macht des Marktes: »In diesem System erscheint also das Regierende als das bewußtlose, blinde Ganze der Bedürfnisse und der Arten ihrer Befriedigungen.«[36] Die Macht des Marktes ist verbunden mit der Verwandlung des Gebrauchswerts von Gegenständen in den Tauschwert von Waren.[37] Die menschliche Arbeit, die ursprünglich dem Ziel diente, die Anerkennung der anderen und Macht über die Objekte zu erlangen, versetzt den Menschen am Ende in die diametral entgegengesetzte Position äußerster Abhängigkeit und völliger Ohnmacht angesichts jener Mächte, die von ihm und seiner eigenen Subjektivität erzeugt wurden, über die er aber nun jegliche Kontrolle verloren hat.

Hegels Schilderung der warenproduzierenden Gesellschaft wimmelt von expliziten Hinweisen auf die soziologische Struktur dieser Gesellschaft. Er kommt in pointierter Form auf Aspekte der Klassenherrschaft zu sprechen, wenn er die Einsicht formuliert, daß der Reichtum der Nationen nur um den Preis der Armut ganzer Klassen erzielt werden kann: »Fabriken, Manufakturen gründen gerade auf das Elend dieser Klasse ihr Bestehen.«[38] Genauso unverhüllt heißt es an einer anderen Stelle: »Der allgemeine Reichtum ... verurteilt eine Menge zur Roheit, zur Abstumpfung in der Arbeit und Armut, um Reichtum Andre sammeln zu lassen ...«[39]

Die Armut, in der diese Masse lebt, ist etwas mit der warenproduzierenden Gesellschaft notwendig Verknüpftes: »Diese Ungleichheit des Reichtums ist an und für sich notwendig«, denn Reichtum hat die notwendige, immanente Tendenz, sich zu akkumulieren und zu vervielfachen.[40] Die Macht, die die Menschen dabei antreibt, ist unendlich und kennt keine Grenzen:

Zwar scheint der Genuß ein fest Bestimmtes und Beschränktes zu sein; aber seine Unendlichkeit ist seine Idealität, und in dieser ist er unendlich. Als Genuß selbst idealisiert er sich zum reinsten, geläutertsten Genießen. Das gebildete Genießen, indem es die Roheit des Bedürfnisses verflüchtigt, muß das Edelste aufsuchen oder bereiten, und je differenter seine Reize werden, desto größer wird die Arbeit, welche sie nötig machen.[41]

//S. 120:// Daraus zieht Hegel den Schluß, daß Reichtum und Armut interdependent sind und zwei Aspekte der janusartigen Kräfte darstellen, die dem Markt immanent sind. Die rasche Ausdehnung des Marktes erfordert ständig sich ausdehnende und ständig wechselnde Bedürfnisse. Mit einer seltenen Einsicht in die Dialektik ständig sich ändernder Bedürfnisse, die den Zwang zu ständig wachsender Produktion erzeugen, heißt es bei Hegel: »Die Bedürfnisse werden dadurch vervielfältigt; jedes einzelne ist in mehrere abgeteilt; der Geschmack ist verfeinert, er macht mehr Unterschiede. Eine Zubereitung ist erfordert, die das zu brauchende Ding dem Gebrauche immer näher bringe und daß für alle Seiten seines Mißverhältnisses gesorgt werde.«[42]

Die Mode wird zu einem die Produktion bestimmenden Faktor. Hegel erweist sich so als einer der ersten Denker, der die innere Logik der ständig wechselnden Moden und Launen und ihre Funktion für den Produktionsprozeß begriffen hat. Die ständige Unruhe des konkreten Lebens in der Industriegesellschaft wird bei ihm auch aus der Sicht des Konsumenten beschrieben:

Aber diese Vielheit erzeugt die Mode, die Veränderlichkeit, die Freiheit im Gebrauche der Formen dieser Dinge. Schnitt der Kleidung, Art des Ameublements sind nichts Beständiges. Ihre Veränderung ist wesentlich und vernünftig, viel vernünftiger, als bei einer Mode bleiben, in solchen einzelnen Formen etwas Festes behaupten wollen. Das Schöne ist keiner Mode unterworfen; aber hier findet keine freie Schönheit statt, sondern eine reizende, d. h. die Zierrat eines Andern ist und sich auf Anderes bezieht, Trieb, Begierde erregen will, also Zufälligkeit an ihr hat.[43]

Diese ständigen Veränderungen des Geschmacks sind ein wichtiger Faktor bei der grundlegenden Unsicherheit und Unruhe, die die moderne Gesellschaft charakterisiert. Ganze Bevölkerungsteile leben von den Launen einer ständig wechselnden Mode. Hegels Beschreibung der Lebensbedingungen dieser in Armut versinkenden Klassen ist wahrhaft erstaunlich, wenn man bedenkt, daß seine Schlußfolgerungen durch die immanente Entwicklung der Konsequenzen der Theorien der politischen Ökonomie zustande gekommen sind:

Zweige der Industrie, die eine große Klasse Menschen erhielten, versiegen auf einmal wegen der Mode oder Wohlfeilerwerdens durch Erfindungen in anderen Ländern usf., und diese ganze Menge ist der Armut, die sich //S. 121:// nicht helfen kann, preisgegeben. Der Gegensatz großen Reichtums und großer Armut tritt auf - der Armut, der es unmöglich wird, etwas vor sich zu bringen. Der Reichtum wie jede Masse macht sich zur Kraft. Anhäufung des Reichtums geschieht teils durch Zufall, teils durch die Allgemeinheit durch die Verteilung. Er ist ein anziehender Punkt in einer Art, der seinen Blick über das allgemeine Weitere wirft, er sammelt um sich her - wie eine große Masse die kleinere an sich zieht. Wer da hat, dem wird gegeben. Der Erwerb wird ein vielseitiges System, das nach allen Seiten einbringt, die ein kleineres Geschäft nicht benutzen kann. Oder die höchste Abstraktion der Arbeit greift durch desto mehr einzelne Arten durch und erhält einen um so weitern Umfang. Diese Ungleichheit des Reichtums und der Armut, diese Not und Notwendigkeit wird die höchste Zerrissenheit des Willens, innre Empörung und Haß.[44]

Die Konsequenzen dieser Zustände verdammen die hilflose Masse der Armen schließlich zur persönlichen Abhängigkeit von den Reichen, die sie beschäftigen, ökonomische Ungleichheit hat Herrschaft zur Folge; aus den ökonomischen Verhältnissen ergibt sich eine gefährliche Struktur von Ungleichheit und Macht:

Diese notwendige Ungleichheit, die sich innerhalb des Erwerbsstands wieder in viele besondere Stände des Erwerbs, und diese in Stände von verschiedenem Reichtum und Genuß absondert, aber bringt durch ihre quantitative Beschaffenheit, welche sich auf Grade bezieht und keiner andern als der Gradbestimmung fähig ist, ein Verhältnis der Herrschaft hervor. Der einzelne ungeheuer Reiche wird eine Macht; er hebt die Form der durchgehenden physischen Abhängigkeit, es von einem Allgemeinen, nicht von einem Besondern zu sein, auf.[45]

Das prometheische Unternehmen des Menschen endet in einem wilden Durcheinander: die durch sein kreatives Bewußtsein entfesselten Kräfte sind zu Fesseln geworden, und die meisten Menschen sind zu Sklaven ihrer Bedürfnisse und ihrer mit der Mode wechselnden Formen der Befriedigung geworden.

Der Staat und die gesellschaftlichen Klassen

Hegel hat damit eine sehr detaillierte und für die damalige Zeit erstaunliche Darstellung des Systems der Bedürfnisse gegeben, das er später als bürgerliche Gesellschaft bezeichnete. Da die Jenaer Manuskripte für mehr als ein Jahrhundert unveröffentlicht //S. 122:// blieben, blieb Hegels radikale Kritik der Industriegesellschaft so gut wie unbekannt. Nur ein schwaches Echo davon gelangte in die Rechtsphilosophie, wo es einige verwirrende Fragen im Hinblick auf Hegels politische Philosophie aufwarf, im übrigen aber ein Randphänomen blieb.[46] Als Hegel die Rechtsphilosophie schrieb, glaubte er die Lösung seines Problems bereits gefunden zu haben, was dazu führte, daß die Kritik als etwas Sekundäres erschien, während die vorgeschlagene Lösung ins Zentrum der Argumentation rückte. In den Jenaer Manuskripten dagegen war Hegel noch auf der Suche nach einer Lösung, das Problem begann sich erst mit aller Macht zu stellen, weshalb es in diesen frühen Schriften ganz im Vordergrund steht.

Jeder, der Hegels Gedanken über die Natur der modernen warenproduzierenden Gesellschaften gefolgt ist, würde es nur als natürlich empfinden, wenn Hegel nun für eine radikale Transformation jener Gesellschaft plädieren würde. Genau an dem Punkt, an dem die moderne Gesellschaft von Hegel als ein System entlarvt wird, das ganze Menschen-Massen in Not und Elend stürzt, wird jedoch die Möglichkeit einer radikalen Transformation der Gesellschaft von Hegel verworfen. Diese Möglichkeit bleibt eine, um Hegels Ausdruck zu verwenden, »innere Empörung«, nicht eine nach außen tretende Handlung. Auf dem Höhepunkt seiner kritischen Darstellung der Schrecken  der  Industriegesellschaft  bleibt Hegel letztlich quietistisch, sucht er nach einer Lösung, die diese erschreckende Realität in ein System zu integrieren vermag. Die Philosophie kann die Welt nur interpretieren, nicht verändern.

In diesem Kontext nimmt Hegel die Analyse der politischen Struktur im engeren Sinne auf und führt den Staat als ein System der Integration ein, das darauf abzielt, den atomistischen Individualismus der ökonomischen Sphäre zu überwinden. Ein Staat, der bloß Ausdruck der herrschenden ökonomischen Interessen wäre, wäre nach Hegels Auffassung, wie wir bereits sahen, ein Greuel. Die von Hegel entwickelte politische Theorie ist ein Versuch, zu einem Allgemeinen (einem »allgemeinen Willen«) zu gelangen, das einerseits nicht ein bloßes Aggregat von individuellen Willen ist, andererseits aber auch nicht den bloß äußerlichen, mit Zwang auftretenden Gegensatz  zu  den einzelnen Willen darstellt. Zu diesem //S. 123:// Zweck muß Hegel ein Moment der Vermittlung finden, und genau das versucht er.

So tritt der Staat in der Realphilosophie in dem Augenblick auf, in dem die kritische Analyse der Gesellschaft ihren Höhepunkt erreicht hat. Der Staat wird als eine die ökonomische Tätigkeit regulierende und integrierende Kraft hingestellt, die durch ihre Allgemeinheit die zentrifugalen Kräfte des Marktes transzendiert. Im Verlauf der Entfaltung dieser Idee fügt Hegel dem von ihm entworfenen Bild der Industriegesellschaft weitere Einzelheiten hinzu, so zum Beispiel, wenn er ausführt, daß der Staat eine ökonomische Expansion in fremden Ländern initiieren kann, um Stabilität und Wohlstand im Innern zu sichern:

Die Staatsgewalt tritt ein und muß sorgen, daß jede Sphäre erhalten werde, oder ins Mittel treten, Auswege, neue Kanäle des Verkaufs in andern Ländern aufsuchen usf., die eine [Tätigkeit] erschweren, insofern sie zu sehr zum Nachteil der andern übergreift. Freiheit des Gewerbes [bleibt notwendig]; das Eingreifen muß so unscheinbar als möglich sein - denn es ist das Feld der Willkür; [der] Schein der Gewalt muß vermieden werden und [man soll] nichts retten wollen was nicht zu retten ist, sondern die leidenden Klassen anders beschäftigen. Die Staatsgewalt ist die allgemeine Übersicht; der Einzelne ist nur in Einzelne vergraben. Das Gewerbe wird freilich verlassen von selbst, aber mit Aufopferung dieser Generation und Vermehrung der Armut. Armentaxen und Anstalten [werden erfordert].[47]

Der Staat wird an dem Punkt notwendig, an dem die Gesellschaft zu zerfallen und ins Chaos zu stürzen scheint: er ist die Reintegration des Selbst in sich selbst als ein Allgemeines, nachdem das ökonomische Leben es partikularisiert und seine Tätigkeit in eine Abstraktion verwandelt hat. In gewisser Weise wird hier das grundlegende Szenarium von Hobbes wieder aufgegriffen in einem Kontext, der eine Synthese von spekulativer Philosophie und politischer Ökonomie darstellt: die Abstraktion des bellum omnium contra omnes erlangt auf der Ebene menschlicher Tätigkeit und menschlichen Bewußtseins konkrete Gestalt.

Daher kann Hegel einerseits die minimalen Funktionen des Staates im Hinblick auf das ökonomische Leben hervorheben (»Freiheit des Gewerbes [bleibt notwendig]; das Eingreifen muß so unscheinbar als möglich sein ...; der Schein der //S. 124:// Gewalt muß vermieden werden ...«), gleichzeitig aber auf die Immanenz des politischen Lebens hinweisen: »Der Einzelne hat ein gemeintes Recht nur am Allgemeinen. Der Staat ist das Dasein, die Macht des Rechts, das Halten des Vertrags und ... die seiende Einheit des Worts.«[48]

Der Staat muß über den konkurrierenden Interessen des Reichs der Bedürfnisse stehen, er muß »indifferent gegen die Teile« der Gesellschaft sein.[49] Der Staat muß in das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte eingreifen, um einen minimalen Lebensstandard zu garantieren, auf den jedes Individuum ein Recht hat; wenn die automatischen Regulationsmechanismen des Marktes dazu nicht ausreichen, muß der Staat mittels Besteuerung und Preiskontrolle eingreifen:

Beides muß aus der Anschauung, aus dem Ganzen desjenigen bestimmt werden, was ein Mensch notwendig braucht, und dieses ist teils der rohen Natur, nach den verschiedenen Klimaten, teils der gebildeten, was im Durchschnitt in einem Volke für die Existenz für notwendig erachtet wird, zu erkennen. Es geschieht von selbst durch die Natur, daß sich das richtige Gleichgewicht teils unter unbedeutendem Schwanken erhält, teils, wenn es durch äußere Umstände stärker gestört ist, durch größeres Schwanken sich wiederherstellt. Aber eben in dem letzten Fall muß die Regierung der Natur, welche eine solche Bewegung des Überwiegens hervorbringt, durch empirische Zufälligkeiten, schneller - wie unfruchtbare Jahre, - oder langsamer - wie Emporkommen derselben Arbeit in andern Gegenden, und Wohlfeilheit, die in andern das gleichmäßige Verhältnis des Überflusses zum Ganzen aufhebt - wirkende, entgegenarbeiten und, da die Natur die ruhige Mitte aufgehoben hat, dieselbe und das Gleichgewicht behaupten.[50]

Hegel fordert auch, daß die Regierung extreme ökonomische Ungleichheit ausgleichen müsse - obgleich er andererseits klarmacht, daß das Bestehen der Ungleichheit als solcher notwendig ist, da sie dem Prozeß der Warenproduktion immanent ist:

Dieser Ungleichheit und ihrer und der allgemeinen Zerstörung hat die Regierung aufs höchste entgegenzuarbeiten. Unmittelbar vermag sie dies äußerlich durch Erschwerung des hohen Gewinns, und wenn sie einen Teil dieses Standes zur mechanischen und Fabriksarbeit aufopfert und ihn der Roheit überläßt, so muß sich das Ganze schlechthin in der ihm möglichen Lebendigkeit erhalten.[51]

Der Staat ist der Beschützer der schwachen Klassen der Gesellschaft. Hegel, der als einer der ersten die Entfremdung //S. 125:// und Pauperisierung hervorrufenden Auswirkungen der industriellen Gesellschaft erkennt, macht auch als einer der ersten Vorschläge, die - ungeachtet aller Unterschiede in der Terminologie - in vielem an den modernen Wohlfahrtsstaat erinnern. Immer wieder erwähnt Hegel die Besteuerung als den großen Gleichmacher und als Instrument zur Einkommensneuverteilung. So heißt es einmal: »Die Ungleichheit des Reichtums macht es, daß er gegönnt wird, wenn große Abgaben gegeben werden.«[52]

Bei der Entwicklung seiner Theorie stattet Hegel den Staat mit einer doppelten Qualität aus, die die dialektische Natur seiner ganzen Auffassung betont. Auf der rein subjektiven Ebene ist der Staat ein bloßes Instrument; die Leute halten ihn für ein bequemes Mittel, um ihre Ziele zu erreichen, um das Funktionieren der ökonomischen Institutionen zu erleichtern und um die durch das System der Warenproduktion entstandenen krassen Spannungen auszugleichen. Auf einer höheren Ebene aber verkörpert der Staat die grundlegende allgemeine Natur des Menschen, über die individualistischen Interessen hinauszugehen und eine Sphäre zu erreichen, die Hegel später als die des »objektiven Geistes« bezeichnet.

Daraus ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen. Der ambivalente Status des Staates ermöglicht es Hegel später, die Bereiche der Kunst, der Religion und der Philosophie als Sphären zu konstruieren, die den Staat transzendieren und doch gleichzeitig in seinem Rahmen verbleiben. Der Staat, der das Individuum in eine allgemeine Einheit integriert, subsumiert gleichwohl dessen Aktivitäten nicht unter seine Existenz. Weil einerseits das Individuum den Staat als ein Instrument für seine partikularen Zwecke benutzt, auf der anderen Seite aber der Staat das wahre Wesen des Individuums verkörpert, wird die klassische Mittel-Zweck-Beziehung zwischen Individuum und Staat transzendiert:

Diese Einheit der Individualität und des Allgemeinen ist nun auf die gedoppelte Weise da: [in] Extreme des Allgemeinen, das selbst Individualität ist, [als] Regierung; [sie ist] nicht ein Abstraktum des Staats, [sondern] Individualität, welche das Allgemeine als solches zum Zweck hat und das andere Extrem derselben, welche das Einzelne zum Zweck hat.[53]

Der allgemeine Wille ist so in Hegels System etwas ganz anderes als bei Rousseau. Hegel zeigt an Hand verschiedener //S. 126:// Beispiele, daß jede von einem Gesellschaftsvertrag ausgehende Theorie eine petitio principii beinhaltet, da sie bereits einen Konsensus, die Bereitschaft, die Vertragsbedingungen einzuhalten, als gegeben voraussetzt. So wenig es im Naturzustand Recht geben kann, so wenig läßt sich der allgemeine Wille als konstitutives Moment des Staatskörpers ansehen.[54] Der allgemeine Wille ist für Hegel nicht die Voraussetzung, auf der der Staat - logisch oder historisch - basiert, sondern das Resultat eines langen Bildungsprozesses, der vermittels Differenzierung und Entgegensetzung aus den verschiedenen Elementen des menschlichen Kampfes um Anerkennung das politische Bewußtsein erzeugt. Der allgemeine Wille ist der in den Institutionen des Staates objektivierte Wille der Einzelnen:

Der allgemeine Wille ist der Wille Aller und Jedes, aber als Wille ist er schlechthin nur dieses Selbst, das Tun des Allgemeinen ist ein Eins: der allgemeine Wille hat sich in dieses Eins zusammenzunehmen. Er hat sich zuerst aus dem Willen der Einzelnen zu konstituieren als allgemeiner, so daß jener das Prinzip und Element scheint, aber umgekehrt ist er das Erste und das Wesen, und die Einzelnen haben sich durch Negation ihrer, durch Entäußerung und Bildung zum Allgemeinen zu machen.[55]

Diese Objektivierung des individuellen Willens im allgemeinen Willen, im Staat, impliziert die Erkenntnis des Individuums, daß das, was als etwas Fremdes und Äußeres erscheint -die Staatsgewalt-, nichts anderes als die Entäußerung seines eigenen Willens ist. Das Rechtssystem ist die Objektivierung des subjektiven Willens:

Die Herrschaft des Gesetzes ist nun nicht dies Gesetzegeben, als ob keine da wären, sondern sie sind da, und das Verhältnis ist die Bewegung der zum Gehorsam Gebildeten gegen das Gemeinwesen. Zum Grunde liegt dies daseiende Wesen. Das Zweite ist das Vertrauen, das eintritt, d. h. daß der Einzelne sein Selbst ebenso darin weiß als sein Wesen, sich darin erhalten findet.[56]

Die Notwendigkeit der äußeren Begrenzung des individuellen Willens ist das Wesen dessen, was Hegel »Polizei« nennt. Durch den gegenwärtigen Gebrauch dieses Begriffes mögliche Mißverständnisse lassen sich zumindest teilweise durch den Hinweis darauf vermeiden, daß »Polizei« für Hegel »von Politeia, das öffentliche Leben und Regieren, Handeln des Ganzen selbst« kommt.[57] Diese öffentliche Autorität ist nötig, da das nur an sich selbst denkende und über sein Eigentum //S. 127:// frei disponierende Individuum einem anderen dadurch schaden kann, daß es die Auswirkungen nicht beachtet, die seine Handlungen auf das Leben Anderer haben können. Es zeigt sich bereits etwas von der »List der Vernunft«, wenn Hegel darstellt, daß der Staat von den Individuen für ihre Selbsterhaltung und ihren besseren Schutz gewollt wird, daß er dabei aber gleichzeitig eine diese Interessen transzendierende Wirklichkeit repräsentiert:

Die allgemeine Form ist dieses Werden des Einzelnen zum Allgemeinen und Werden des Allgemeinen; - aber es ist nicht eine blinde Notwendigkeit, sondern eine durchs Wissen vermittelte, oder jeder ist sich selbst Zweck dabei, d. h. der Zweck ist schon das Bewegende. Es ist unmittelbar jeder Einzelne sich die Ursache; sein Interesse treibt ihn, aber ebenso ist das Allgemeine ihm das Gültige, die Mitte, welche ihn zusammenschließt mit seinem Besondern und seiner Wirklichkeit.[58]

Im System der Sittlichkeit unterscheidet Hegel zwischen zwei Arten von Sittlichkeit: einer relativen Sittlichkeit, die sich auf die von einem individualistischen Standpunkt aus erfolgende Beziehung eines Menschen zu anderen Menschen bezieht, und einer absoluten Sittlichkeit, die sich auf seine Beziehung zur Gemeinschaft der Menschen bezieht[59] - eine Unterscheidung, die in etwa mit Hegels späterer Unterscheidung zwischen Moralität und Sittlichkeit übereinstimmt. »Absolut« bedeutet in diesem Zusammenhang, daß diese Form des sittlichen Verhaltens ganz auf sich bezogen ist, daß ihre Kriterien immanenter Art sind, während sich die relative Sittlichkeit an äußeren Kriterien orientiert, weshalb sie eben »relativ« ist. Das politische Leben ist so durch die Beziehung zum Ganzen, zum »Volk« charakterisiert - der letztere Begriff nicht im ethnischen Sinne verstanden, sondern im Rousseauschen:

Die absolute Sittlichkeit ... erscheint nicht als Liebe zum Vaterlande und Volk und Gesetzen, sondern als das absolute Leben im Vaterlande und für das Volk ... Sie ist die absolute Uneigennützigkeit, denn im Ewigen ist nichts Eigenes. Sie ist, und jede ihrer Bewegungen, die höchste Schönheit und Freiheit, dann das Reellsein und die Gestaltung des Ewigen ist seine Schönheit.[60]

Indem das politische Leben diese vermittelte Identität des Individuums mit seinem allgemeinen Wesen ist, schaut darin »das Individuum sich in jedem als sich selbst an« - nicht als abstrakten  Begriff,  sondern  im konkreten  Leben.  Daher //S. 128:// spricht Hegel auch von der »Göttlichkeit« dieser Einheit, da sie die individuellen Interessen und letztlich auch die Grenzen zwischen zwei Individuen aufhebt, so daß das Individuum »zur höchsten Subjektobjektivität (gelangt)«.[61] Das ist aber dennoch keine unmittelbare Identität, wie sie früher in der Polis bestand. In der modernen Gesellschaft bedarf diese Identität der Vermittlung. Das wird in dialektischer Weise durch den Doppelcharakter von Hegels Staat erreicht, der sowohl instrumentell als auch immanent ist. Diese Ambivalenz stellt sich im Individuum in seiner Doppelrolle als besonderes und als allgemeines Wesen dar. In einer seiner pointiertesten Passagen, die sowohl sein eigenes reifes Denken als auch bereits Marx' Auseinandersetzung damit vorwegnimmt, sagt Hegel, daß der Mensch sowohl ein Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft als auch ein Bürger des Staates ist und ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Aspekten seiner Existenz herstellen muß:

Beide Individualitäten [sind] als dieselben. Derselbe sorgt für sich und seine Familie, arbeitet, schließt Verträge usf. und ebenso arbeitet er auch für das Allgemeine, hat dieses zum Zwecke. Nach jener Seite heißt er bourgeois, nach dieser citoyen.[62]

Diese beiden Aspekte der menschlichen Tätigkeit führen zu Hegels Diskussion der gesellschaftlichen Klassen. Der springende Punkt liegt natürlich darin, daß Hegel nicht die Antinomie zwischen dem bourgeois und dem citoyen sieht, eine Antinomie, die in einer totalen, neuen Einheit überwunden werden müßte und die ein Teil der dialektischen Entwicklung des Menschen zu seiner Selbsterkenntnis ist. Das darf man nicht vergessen, da man sonst leicht in den nicht seltenen Fehler verfällt, bei der Diskussion dieses Problems die offenbaren Ähnlichkeiten zwischen Hegels Erörterung der bürgerlichen Gesellschaft und einigen Aspekten der Marxschen Analyse überzubetonen. In Wirklichkeit ist nämlich der Hegelsche Ausgangspunkt dem von Marx genau entgegengesetzt. Für Marx sind Klassen durch Formen gesellschaftlicher Arbeit gebildete Aggregate, die durch die gemeinsame Beziehung ihrer Mitglieder zu den Produktionsmitteln miteinander verbunden sind und nach einer politischen Artikulation ihrer sozioökonomischen Interessen verlangen. Der Klassencharakter des Staates stellt für Marx eine Sünde gegen den vom Staat //S. 129:// erhobenen Anspruch dar, gegenüber dem Partikularismus und Egoismus der bürgerlichen Gesellschaft das Allgemeine zum Ausdruck zu bringen. Für Hegel ist die Institutionalisierung der Klassenbeziehungen innerhalb der politischen Struktur das Mittel zur Integration des Atomismus der bürgerlichen Gesellschaft innerhalb einer umfassenden Totalität. Die verschiedenen Klassen repräsentieren für Hegel nicht nur Formen der Produktion, sondern Formen des Bewußtseins, die von Relevanz sind für eine in ihrer Struktur gemäß den Kriterien von Hegels allgemeinem System differenzierten Gesellschaft. Während die Klassen für Marx eine zu überwindende Arbeitsteilung repräsentieren, bedeuten sie für Hegel die Integration dieser bedauerlichen, aber notwendigen Teilung in ein sinnvolles Ganzes. Die Klassen reflektieren - wie die Perioden in der Geschichte - verschiedene Stufen des Bewußtseins.[63] Für Hegel bleiben die Klassen immer Stände in dem Sinne, daß sie eine legitime Differenzierung repräsentieren. Jeder Stand steht für eine bestimmte Form des Bewußtseins: das Prinzip des unmittelbaren Vertrauens und des Gehorsams wird von den Bauern repräsentiert, das Prinzip von Gesetz und Ordnung von den mittleren Ständen, und das Prinzip der Allgemeinheit von der Bürokratie, dem allgemeinen Stand. Obgleich das Klassifikationsprinzip dem in der Rechtsphilosophie gleicht, ist die innere Teilung jedes einzelnen Standes doch komplexer und zeigt sich hier eine differenziertere Wahrnehmung der Klassendifferenzierungen als in den von Hegel später getroffenen übersichtlichen Unterscheidungen. Außerdem wird in der Realphilosophie die von den einzelnen Klassen vollzogene Arbeit stärker berücksichtigt, so daß der Zusammenhang zwischen Klasse und Anthropologie der Arbeit deutlicher in Erscheinung tritt.

Jeder Staat ist nach Hegel Ausdruck eines Allgemeinen, da er auf dem seinen Mitgliedern Gemeinsamen basiert. Dieses Allgemeine ist nichts außerhalb Liegendes, noch ist es eine bloße Redeweise, sondern dadurch, daß eine Person zu einem Stand gehört, ergeben sich seine Verbindungen mit anderen Personen. Jeder Stand »erkennt sich in seiner Gleichheit und konstituiert sich als Allgemeines gegen Allgemeines, und das Verhältnis der unterschiedenen Stände ist nicht ein Verhältnis von Einzelnen zu Einzelnem; sondern jeder Einzelne ist //S. 130:// dadurch, daß er einem Stand angehört, ein Allgemeines und hiermit ein wahrhaftes Individuum, und eine Person«.[64]

Die Hauptfunktion der Stände besteht darin, die den Beziehungen des Systems der Bedürfnisse inhärente physische Abhängigkeit in ein sittliches Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit zu verwandeln, in dem die rohe Gewalt physischer und ökonomischer Macht zu Formen politischer Organisation sublimiert ist:

Das Verhältnis der physischen Abhängigkeit ist die absolute Besonderung und Abhängigkeit von einem Gedachten, Abstrakten. Die Konstitution setzt eine lebendige Abhängigkeit, und ein Verhältnis von Individualität zu Individualität, einen andern, einen innern tätigen Zusammenhang, welcher nicht der physischer Abhängigkeit ist. Dieser Stand ist in sich konstitutiert, heißt, er ist innerhalb seiner Beschränkung ein lebendiges Allgemeines; was sein Allgemeines, sein Gesetz und Recht ist, ist zugleich als seiend in den Individuen, reell in ihnen, durch ihren Willen und Selbsttätigkeit. Diese organische Existenz dieses Stands macht jeden Einzelnen, soweit Lebendigkeit in ihm ist, eins mit den andern; aber der Stand kann nicht in der absoluten Einheit sein. Also macht er zum Teil auch sie abhängig, aber sittlich, in Zutrauen, Achtung und drgl., und diese Sittlichkeit hebt das Elementarische, die reine Masse, Quantität auf, setzt ein lebendiges Verhältnis; und der Reiche ist unmittelbar genötigt, das Herrschaftsverhältnis und selbst den Verdacht desselben durch allgemeineres Teilnehmenlassen an demselben zu mindern, und die äußere Ungleichheit mindert sich sowohl äußerlich, als das Unendliche sich nicht auf die Bestimmtheit wirft, sondern als lebendige Tätigkeit existiert und also der Trieb nach unendlichem Reichtum selbst ausgerottet ist.[65]

Wir können nun zur Schilderung der einzelnen Stände selber übergehen: des Bauernstandes, des Standes des Gewerbes und des Standes der Staatsdiener. Der Bauernstand ist dadurch charakterisiert, daß er der Stand der unmittelbaren Arbeit ist, dessen konkretes Tun sich auf ein natürliches Objekt (Land) und nicht auf ein Produkt bezieht. Er repräsentiert deshalb eine niedrige Stufe des Bewußtseins, die sich noch nicht von der Substantialität losgelöst hat. Auf der sozialen Ebene zeigt sich dies darin, daß die Bauernschaft ihre Arbeit und ihre Rolle so wie sie sind, akzeptiert, ohne viel zu fragen. Die Bauernschaft ist der Stand des unmittelbaren Vertrauens, des unreflektierten Bewußtseins:

Der Stand des unmittelbaren Vertrauens und der rohen konkreten Arbeit ist der Bauernstand. Das absolute Vertrauen ist der Grund und das //S. 131:// Element des Staates; es tritt aber in dem gebildeten Staate zurück zu einem Stande, zu dem elementarischen Ausgangspunkte und allgemeinen Elemente, das in Allen bleibt, aber die ihre bewußtere Form annimmt. Der Bauernstand ist also dies individualitätslose Vertrauen, das seine Individualität in dem bewußtlosen Individuum, in der Erde hat. Als Arbeiter ist er nicht der Arbeiter der abstrakten Form, sondern sorgt so ungefähr für das Meiste, Ganze seiner Bedürfnisse; ebenso ist sein Werk nur im Innern mit seinem Tun verbunden. Der Zusammenhang seines Zwecks und der Verwirklichung ist das Bewußtlose, die Natur; er ackert, sät, aber es ist Gott, der das Gedeihen gibt, die Jahreszeiten und das Vertrauen, daß von sich selbst das werde, was er in den Boden gelegt hat. Die Tätigkeit ist das Unterirdische. Steuern und Abgaben bezahlt er, weil es eben so ist: diese Äcker, Häuser sind von allen Zeiten so belegt; es ist so, weiter nichts ...

Die konkrete Arbeit ist die elementarische, das substanzielle Erhalten, der rohe Grund des Ganzen wie das Vertrauen. Dieser Stand macht im Kriege die rohe Masse aus.[66]

Beim nächsten Stand, dem gewerbetreibenden, unterscheidet Hegel zwischen dem »Bürgerstand« und dem »Kaufmannsstand«. Der Bürgerstand besteht hauptsächlich aus Handwerkern, deren Arbeit im Formieren der Natur besteht, während die Arbeit des Kaufmanns der reine Tausch ist. Sowohl die Handwerker als auch die Kaufleute sehen Gesetz und Ordnung als das Prinzip ihrer Existenz an; Eigentum, Erwerbstrieb und soziale Mobilität sind die Säulen ihres Seins. In einer treffenden Beschreibung des sozialen Ethos des Bürgerstands geht Hegel einigen eindeutig dem Mittelstand zugehörigen Werten auf den Grund:

(Der Bürger) weiß sich bestimmt als Eigentümer, und nicht nur weil er besitzt, sondern weil es sein Recht ist, behauptet er es; er weiß sich als Anerkannter in seiner Besonderheit und drückt dieser allenthalben den Stempel auf. Er genießt nicht so wie der Bauer in seiner Roheit sein Glas Bier oder Wein, um sich zu seiner allgemeinen Dumpfheit zu erheben, teils in ihr eine Bewegung seines Geschwätzes und Verstandes zu geben, sondern sich damit zu zeigen, wie mit einem Rocke und dem Putze seiner Frau und Kinder, daß er so gut ist wie ein Anderer und es so weit gebracht hat. Er genießt darin sich selbst, seinen Wert und Rechtschaffenheit; dies hat er sich erarbeitet und vor sich gebracht. Nicht den Genuß des Vergnügens genießt er, sondern daß er diesen Genuß hat, die Einladung von sich selbst.[67]

Im Kaufmannsstand wird dagegen ein höherer Abstraktionsgrad erreicht:

//S. 132:// Die Arbeit des Kaufmanns ist der reine Tausch, weder natürliches noch künstliches Produzieren und Formieren. Der Tausch ist die Bewegung, das Geistige, die Mitte, das vom Gebrauch und Bedürfnisse so wie von dem Arbeiten, der Unmittelbarkeit Befreite.[68]

Das Mitglied des Kaufmannsstandes erlebt ein »Versenktsein in Besitz und Besonderheit«, eine »Knechtschaft« gegen das Geld, was es zum »Bürger, bourgeois« macht.[69] Die Existenzweise des Kaufmanns verlangt die Erfindung des Geldes als Ware:

Der Gegenstand selbst ist entzweit in den besonderen, den Handelsartikel und das Abstrakte, das Geld - eine große Erfindung. Alle Bedürfnisse sind in dies Eine zusammengefaßt. Das Ding des Bedürfnisses ist zu einem bloß vorgestellten, ungenießbaren geworden. Der Gegenstand ist also hier ein solches, das rein nur nach seiner Bedeutung gilt, nicht mehr an sich, d. h. für das Bedürfnis. Es ist ein schlechthin Innres. Die Gesinnung des Kaufmannsstandes ist also dieser Verstand der Einheit des Wesens und des Dings: so reell ist einer, als er Geld hat. ... Es ist das formale Prinzip der Vernunft vorhanden. (Aber dies Geld, das die Bedeutung aller Bedürfnisse hat, ist selbst nur ein unmittelbares Ding) - es ist die Abstraktion von aller Besonderheit, Charakter usf., Geschicklichkeit des Einzelnen. Die Gesinnung des Kaufmanns ist diese Härte des Geistes, worin der Besondere, ganz entäußert, nicht mehr gilt, nur striktes Recht. Der Wechsel muß honoriert werden, es mag zugrunde gehen, was will, Familie, Wohlstand, Leben usf., gänzliche Unbarmherzigkeit.[70]

Wiederum ist das Entscheidende nicht so sehr die Ähnlichkeit mit Marx, als vielmehr Hegels der Marxschen Position diametral entgegengesetzte Versöhnung mit dieser Lage der Dinge: seiner eindringlichen Analyse folgt nicht die radikale Forderung nach Veränderung. Für die Zeit, in der diese Texte geschrieben wurden, wird das Wesen der modernen Gesellschaft erstaunlich klar erfaßt; alles wird aber den integrierenden Funktionen des Staates untergeordnet. Bei Hegel gibt es keine Abweichungen und keine Rebellionen. Jene Integration vollzieht sich durch die Vermittlung des dritten, des allgemeinen Standes: »Der öffentliche Stand arbeitet für den Staat ... Seine Gesinnung ist, daß er seine Pflicht erfüllt.«[71] Der Kaufmannsstand drückt bereits eine Form des Allgemeinen aus - die Allgemeinheit des Markts -, die aber noch abstrakt ist. Das Allgemeine wird konkret erst in der Klasse der Staatsdiener, die das »Eingreifen des Allgemeinen in alles Einzelne« repräsentieren; die Staatsdiener werden //S. 133:// verglichen mit den »Blutgefäßen und Nerven, die sich durch alles hindurchschlingen«, obgleich sie natürlich nicht mit dem Körper identisch sind. Der Stand der Allgemeinheit befindet sich nicht nur wegen seiner allgemeinen Zielrichtung an der Spitze der sozialen Pyramide, sondern auch deshalb, weil er der einzige Stand der Gesellschaft ist, dessen Ziel das Wissen selber ist, und nicht Natur, Artefakt oder Abstraktion, wie es bei allen anderen Klassen der Fall ist. Der spezifische akademische Hintergrund der Tradition der deutschen Bürokratie zeigt sich deutlich in diesem Konzept des Standes der Allgemeinheit als eines gebildeten Standes, zu dem nicht nur Staatsdiener im engeren Sinne gehören, sondern auch Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte:

Dies reine Wissen ist zu erfüllen, hat sich einen Inhalt an sich selbst zu geben, einen freien Inhalt, der ein interesseloser Gegenstand zugleich ist; oder worin Ich mein Denken ebenso habe, wie die Pflicht ist, aber so, daß dies mein Denken zugleich frei von mir ist. Dies ist die Wissenschaft überhaupt. Der Geist hat hier irgendein Objekt, das er ohne die Beziehung auf die Begierde und Bedürfnis behandelt. Es ist erfülltes Denken, die Intelligenz, die sich selbst weiß.[72]

Das Ständesystem ermöglicht es Hegel, eine differenzierte soziale Struktur, deren Wurzeln er in dem notwendigen Funktionieren der modernen Gesellschaft sieht, mit einem hochgradig integrierten politischen System zu verbinden. Die von Hegel beschriebenen Stände sind nicht die mittelalterlichen Zünfte. Es haftet ihnen nichts Restriktives an, und ihr Organisationsprinzip ist funktional und rational und basiert auf sozialer Mobilität, nicht auf Vererbung oder Zuschreibung. Ihr Ziel ist, in einer atomisierten Gesellschaft zwischen dem Einzelnen und dem allgemeinen Staatskörper zu vermitteln. Wir sahen bereits, wie Hegel in seinem Aufsatz über Württemberg von 1817 für ein Repräsentativsystem plädierte, das auf am Beruf orientierten Einheiten beruhte, statt auf einem mechanistischen und atomistischen System der unvermittelten Repräsentation. In Hegels Augen kann der moderne Staat, wenn er überleben soll, nicht auf die unmittelbare Identifikation seiner Bürger mit der Totalität des politischen Systems gegründet werden. Vielmehr bedarf es einer Reihe von Vermittlungen, und diese sah Hegel im System der Stände institutionalisiert.

//S. 134:// Hegels System, wie es im System der Sittlichkeit und in der Realphilosophie entwickelt wird, scheint allerdings einen schwerwiegenden Mangel zu haben, der dort in Erscheinung tritt, wo Hegel versucht, das Problem der Vermittlung zu lösen. Wir haben bereits auf Hegels großartige Darstellung der Struktur der modernen Gesellschaft und seine Einsicht in die sozialen Probleme, die die moderne Industrie mit sich brachte, hingewiesen. Hegels Hauptleistung in diesem Zusammenhang ist seine Analyse der Lebensbedingungen jener, die unmittelbar in der Produktion beschäftigt sind, der Fabrikarbeiter. Genau diese Gruppe, ihre Bedürfnisse, verlangten mehr als alle anderen nach Integration und Vermittlung. Nach dieser Klasse sucht man aber in Hegels Ständesystem vergeblich. Der Arbeiter gehört offensichtlich weder zur Bauernschaft noch zu den Staatsdienern. Er gehört aber auch nicht zum gewerbetreibenden Stand, zum Kaufmannsstand. Bei Hegels Beschreibung dieses Standes werden die kleinen unabhängigen Handwerker erwähnt; von Arbeitern ist aber nicht die Rede. Außerdem kann sich Hegels Charakterisierung der Gesinnung des Bürgerstandes natürlich nicht auf die Arbeiter beziehen. Es wäre absurd, wollte man Hegels enorme geistige Leistung dadurch zu mindern versuchen, daß man darauf hinwiese, daß das gesamte System hinfällig würde, einfach weil Hegel die Klasse der Arbeiter, deren verzweifelte Lage er erkennt und genauestens beschreibt, nicht berücksichtigt hat. Es wäre auch blanker Anachronismus, Hegel im Lichte der späteren Geschichte der Arbeiterklasse zu beurteilen und ihm aufgrund dessen mangelnde Einsicht vorzuwerfen. Hätte nämlich Hegel unsere Aufmerksamkeit nicht auf die Problematik des Lebens der Arbeiterklasse in der modernen Gesellschaft gelenkt, wäre man auch nicht in die Lage versetzt worden, ihm den Vorwurf machen zu können, er habe keine Abhilfe vorgeschlagen. Nichtsdestoweniger rechtfertigt die Tatsache, daß er die Frage selber aufgeworfen hat, ohne dafür in seinem System eine Lösung anzubieten, einen nagenden Zweifel. Wir werden sehen, daß dasselbe Problem auch in der Rechtsphilosophie wieder auftaucht. Es zeugt - und das ist anzuerkennen - von Hegels geistiger Integrität, daß er nicht versucht hat, statt einer wirklichen irgendeine einfache Lösung vorzuschlagen. //S. 135://

Die Regierung und ihre Formen

In seinen politischen Erörterungen in den Jenaer Schriften fordert Hegel eine politische Struktur, die die durch das Entstehen der modernen Gesellschaft entstandenen Probleme zu bewältigen vermag. Hegels Staat steht damit vor der Aufgabe, den sozialen und ökonomischen Wandel in eine sich entwickelnde politische Struktur zu integrieren. Nach den gewaltigen Veränderungen durch die Französische Revolution war er mit der doppelten Aufgabe der Erneuerung und Bewahrung konfrontiert. Für Veränderungen offen zu sein, ja, sie manchmal sogar einzuführen, ohne von ihren Folgen weggefegt zu werden, ist die schwierige Aufgabe der Regierung:

Es wird jetzt anders regiert und gelebt in Staaten, deren Konstitution noch dieselbe ist - und diese ändert sich nach und nach mit der Zeit; die Regierung muß nicht auf die Seite des Vergangenen treten und es hartnäckig beschützen, aber gleichsam der letzte sein, der überzeugt ist und ändert.[73]

Die prekäre Dialektik der kontrollierten Veränderung führt Hegel zur Erörterung der Rolle der öffentlichen Meinung im politischen Prozeß. Obgleich die Regierung als der Ausdruck der wahren Identität des Selbst erscheint, macht sie die öffentliche Politik nicht überflüssig. Nach Hegel stehen Regierung und öffentliche Meinung in einer wechselseitigen Beziehung, die einen Konsensus zwischen beiden Seiten notwendig macht. Hier zeigt sich wieder, daß Hegel ein spezifisch modernes Problem erkennt:

[Am Rande:] gebildete öffentliche Meinung, Schatz der Maximen des Bewußtseins, Begriffe des Rechts und Unrechts, Einsicht; gegen diese öffentliche Meinung kann man nicht. Von ihr gehen alle Veränderungen aus, und sie selbst ist nur der bewußte Mangel des fortschreitenden Geistes. Was der Geist sich zu eigen gemacht, das ist als Gewalt überflüssig. Wenn die Überzeugung nachgelassen, die innre Notwendigkeit, so kann keine Gewalt sie zurückhalten.[74]

Die Beziehung zwischen Regierung und öffentlicher Meinung, wie sie in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Presse institutionalisiert ist, wird in der Rechtsphilosophie zu einem zentralen Punkt bei der Erörterung des sensitiven Bereichs der politischen Initiation. Hier dient sie Hegel lediglich dazu, ein Resümee seiner Darstellung der historischen //S. 136:// Entwicklung der politischen Strukturen vom Altertum bis zur Neuzeit zu geben.

Diese Darstellung enthält bereits vieles von dem, was an historischer Spekulation später in viel detaillierterer Form in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte auftaucht. Der Kern von Hegels Hauptargument wird schon hier sehr deutlich. Die Tyrannei, die Demokratie der antiken Polis und die moderne Monarchie sind die drei archetypischen Modelle, in denen Hegel die verschiedenen Stadien sieht, durch die hindurch sich das Selbstbewußtsein verwirklicht. Mit der Entwicklung von der antiken Tyrannei zur modernen konstitutionellen Monarchie schließt sich in gewisser Weise ein Kreis: am Anfang steht die Herrschaft eines Einzelnen, am Ende ein von einem Einzelnen gelenktes System. Während aber die antike Tyrannei eine undifferenzierte und rohe Regierungsform ist, verkörpert die moderne Monarchie die ihrer selbst bewußte Subjektivität. Die Diskussion der antiken Tyrannei weitet sich zu einer allgemeinen Analyse der Bedingungen aus, unter denen neue Staaten entstehen, und hier verweist Hegel auf die Rolle, die große Männer in der Geschichte spielten.

Hegel ist der Meinung, daß alle Staaten aufgrund der außerordentlichen Leistungen großer Männer gegründet wurden. Weder Gesellschaftsverträge noch reine Gewalt sind die historischen Wurzeln der Gründung von Staaten, sondern vielmehr die geistige Kraft eines großen Führers. Die Rolle der großen Männer in Hegels frühen Werken hat große Ähnlichkeit mit der Rolle des Gesetzgebers in Rousseaus Contrat Social. Und wir haben ja auch gesehen, wie Hegel nach genau einer solchen Gestalt in seiner Verfassung Deutschlands suchte. Dieser Führer und Staatsgründer ist der Erzieher seines Volkes: er bringt ihm Disziplin, Gehorsam und soziales Handeln bei; er zwingt es, im Sinne des gemeinsamen Wohls zu handeln. Aus der Menge der Einzelnen schafft er ein Volk. In diesem Zusammenhang gebraucht Hegel den Ausdruck »Macchiavellismus«, und zwar, um damit die Kunst der Staatsgründung zu bezeichnen, und nicht die Art und Weise, in der Staaten funktionieren sollten, sobald sie einmal gegründet sind.[75] Die Tyrannei verschwindet, sobald ihre Aufgabe erfüllt ist: »Die Tyrannei wird gestürzt von den Völkern, weil sie //S. 137:// abscheulich, niederträchtig sei usf.; in der Tat aber nur darum, weil sie überflüssig ist.«[76]

Sobald die Tyrannei, nach Erfüllung ihrer historischen Funktion, gestürzt ist, wird sie durch eine Regierungsform ersetzt, die sich aus jenen Kräften des Volkes bildet, die die Tyrannei gestürzt haben. Das ist dann der von der antiken Polis verkörperte Typus der Demokratie. Aber es ist eine undifferenzierte Form der Demokratie. Hegel, der weit davon entfernt ist, die Polis zu idealisieren, verweist auf ihren Mangel an Allgemeinheit, auf das Fehlen einer allgemeinen Norm, auf die Tatsache, daß, wenn alles vom gemeinen Volk entschieden wird, alles der Willkür unterliegt und sich nichts als allgemeine Regel über die Zufälligkeit der auf dem Marktplatz ausgesprochenen Meinung erhebt.

In dieser Demokratie ist der Wille des Einzelnen noch zufällig als Meinung überhaupt; er muß auf sie gegen die Majorität Verzicht tun ... Die Beschlüsse, Gesetze gehen hier nur auf besondre Umstände ... Die Wahl der Beamten, Heerführer steht der Gemeinde zu; sie ist ein Zutrauen zu ihnen, das aber erst durch den Erfolg gerechtfertigt wird; die Umstände sind immer verschieden.[77]

Dies Fehlen eines allgemeinen Gesetzes macht die Polis zur Verkörperung der schönen Freiheit - der unmittelbaren, unreflektierten und direkten Einheit des Einzelnen und des Allgemeinen. Die Polis kennt keinen Unterschied zwischen privat und öffentlich; das Individuum ist unter die Totalität des Staates subsumiert. In einer stark an die Beschreibung der Polis in den frühen theologischen Schriften erinnernden Passage heißt es bei Hegel:

Dies ist die schöne glückliche Freiheit der Griechen, die so sehr beneidet worden ist und wird. Das Volk ist zugleich aufgelöst in Bürger, und es ist zugleich das eine Individuum, die Regierung. Es steht nur in Wechselwirkung mit sich. Derselbe Wille ist der Einzelne und derselbe das Allgemeine. Die Entäußerung der Einzelheit des Willens ist unmittelbare Erhaltung desselben. ... Es findet kein Protestieren hier statt; jeder weiß sich unmittelbar als Allgemeines, d. h. er tut auf seine Besonderheit Verzicht, ohne sie als solche, als dieses Selbst, als das Wesen zu wissen.[78]

Die Polis ist also ein politisches System, das ungeachtet seiner offenbaren Schönheit den Einzelnen versklavt, und die demokratische Natur ihrer Struktur unterstreicht nur die totale //S. 138:// Integration des Individuums in das politische System. Die Alternative zu dieser Form ist nach Hegel die moderne konstitutionelle Monarchie, die auf der Herrschaft des Gesetzes und auf der Freiheit des Einzelnen beruht, der sich mit dem Staat identifiziert und sich gleichzeitig von ihm unterscheidet.[79] Im Monarchen kommt das Prinzip der Individualität in vermittelter Form zum Ausdruck. Er ist »das höhere Prinzip der neueren Zeit, das die Alten, das Plato nicht kannte«.[80] Der Monarch, indem er durch sein »Wir befehlen« seinen Willen ausdrückt, ist reine, sich selbst wollende Subjektivität.[81]

Das ist Hegels Rechtfertigung der modernen Monarchie. Als Ausdruck der Subjektivität ist sie die höchste Form des Bewußtseins, das durch Selbstverwirklichung Anerkennung zu erlangen sucht. In der modernen Gesellschaft, deren Machtstruktur den Menschen zerstückelt, kommt er auch wieder zu sich selbst und zur Selbsterkenntnis. Der moderne Mensch, der sich in seiner Arbeit gefunden hat, läuft Gefahr, sich in seinen Produkten wieder zu verlieren. Die politische Struktur, die diese Erkenntnis des Menschen als Subjekt reflektiert, zielt darauf ab, diese Spannung zu überwinden. Die von Hegel in der Realphilosophie geschilderte Lösung ist eine in Stände differenzierte Gesellschaft mit einem die Subjektivität symbolisierenden Monarchen an der Spitze. Das ist dieselbe Lösung, die Hegel später auch in der Rechtsphilosophie präsentiert, wo sie allerdings weiter ausgearbeitet ist. Jeder Versuch, einem frühen radikalen Hegel der Jenaer Periode einen später konservativen Hegel der Berliner Periode gegenüberzustellen, wird so durch die Texte deutlich widerlegt. Hegel beschließt seine Erörterung der Suche des Menschen nach Selbsterkenntnis aber nicht mit dem Monarchen. Jenseits des Bereichs des objektiven Geistes gibt es für Hegel noch das Bedürfnis des Menschen, sich in Philosophie, Kunst und Religion zum Ausdruck zu bringen. Bei der Diskussion dieser Bereiche zeigen sich wieder alle der politischen Theorie Hegels innewohnenden Spannungen. Hegel beginnt damit, daß er nachdrücklich die grundlegende Dualität in der Natur des Menschen betont, die ihn über den Bereich des objektiven Geistes, d. h. über den Staat hinaustreibt:

Der Mensch lebt in zwei Welten: In der einen hat er seine Wirklichkeit, die verschwindet, seine Natürlichkeit, seine Aufopferung, seine Vergänglichkeit, //S. 139://  in der andern seine absolute Erhaltung, weiß sich als absolutes Wesen.[82]

Dieses Absolute kann auf Erden nicht verwirklicht werden. Es kann sich im Geist irdischer Institutionen ausdrücken, aber nicht damit zusammenfallen. Es ist der kardinale Irrtum der Religion, »das Ewige, das Himmelreich als solches auf Erden einführen zu wollen«. Damit setzt sich die Kirche dem Staat entgegen und versucht, wie Hegel es in seiner bilderreichen Sprache ausdrückt, »Feuer im Wasser zu erhalten«.[83] Aber das Ewige kann in den endlichen Formen des irdischen Lebens nicht verwirklicht werden; deshalb sind die Ansprüche der Kirche auf Suprematie irrig. In dieser Welt ist der Staat das höchste Wesen und die durch ihn erreichte Erkenntnis die höchste auf Erden mögliche Leistung. Jeder Versuch, das absolute transzendente Wesen des Menschen in einer objektiven Struktur zu institutionalisieren, führt zur äußersten Entäußerung seines objektiven Seins. In einer religionskritischen Passage, die an später von Hess und Feuerbach entwickelte Gedanken erinnert, sagt Hegel:

In der Religion erhebt jeder sich zu dieser Anschauung seiner als allgemeinen Selbsts. Seine Natur, sein Stand, versinkt in ein Traumbild, wie eine ferne, am Saum des Horizontes als Duftwölkchen erscheinende Insel. Er ist dem Fürsten gleich. Es ist das Wissen seiner als des Geistes; er gilt Gott soviel als jeder Andere. Es ist die Entäußerung seiner ganzen Sphäre, seiner ganzen daseienden, Welt - nicht jene Entäußerung, welche nur Form, Bildung und deren Inhalt wieder das sinnliche Dasein ist, sondern allgemeine Entäußerung der ganzen Wirklichkeit; diese Entäußerung gibt sie sich selbst als Vollkommnes wieder.[84]

Ähnlich verhält es sich bei der Kunst, wo das Kunstwerk ein Wesen zu repräsentieren sucht, das in den Grenzen der objektiven Welt nicht repräsentiert werden kann:

Die absolute Kunst ist die, deren Inhalt der Form gleich ist. ... Die Kunst erzeugt die Welt als geistige und für die Anschauung. Sie ist der indische Bacchus, der nicht der klare, sich wissende Geist ist, sondern der begeisterte Geist, der sich in Empfindung und Bild einhüllende, worunter das Furchtbare verborgen ist. Sein Element ist die Anschauung; aber sie ist die Unmittelbarkeit, welche nicht vermittelt ist. Dem Geiste ist dies Element daher unangemessen. Die Kunst kann daher ihren Gestalten nur einen beschränkten Geist geben. Die Schönheit ist Form; sie ist die Täuschung der absoluten Lebendigkeit, die sich selbst genügte und [meinte, daß sie] in sich geschlossen und vollendet sei. Dies Medium der //S. 140:// Endlichkeit, die Anschauung kann nicht das Unendliche fassen.... Die Schönheit ist viel mehr der Schleier, der die Wahrheit bedeckt, als die Darstellung derselben. Oder als Form der Lebendigkeit entspricht jener der Inhalt nicht; er ist beschränkt. Der Künstler fordert daher häufig, daß das Verhältnis für Kunst nur Verhältnis zur Form sei und von dem Inhalt zu abstrahieren sei. Aber diesen Inhalt lassen sich die Menschen nicht nehmen. Sie verlangen Wesen nicht bloße Form.[85]

Die Bereiche der Kunst, der Religion und der Philosophie, so faßt Hegel zusammen, liegen jenseits der Grenze des Staates. Aber gleichzeitig kann der Mensch in ihnen nicht unabhängig von seiner politischen Existenz in der objektiven Welt existieren.

 

Fussnoten

[1] »Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie«, in: G. W. F. Hegel, Gesammelte Werke, Hamburg 1966, IV, S. 5-92. Mit dieser Schrift, so berichtet Rosenkranz (S. 149), versuchte Hegel in das intellektuelle Leben Jenas einzugreifen.

[2] Ibid., IV, S. 432; cf. Kaufmann, Hegel, S. 69-108; Lassons Einleitung zu seiner Ausgabe von Hegels Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, S. XXXIV-VI.

[3] Gesammelte Werke, IV, S. 421 f.

[4] Ibid., S. 428 ff. Interessant ist, daß Hegel in diesem Zusammenhang den Ausdruck »antisocialistisch« verwendet zur Bezeichnung jener Naturrechtstheorien, die »das Seyn des Einzelnen als das Erste und Höchste setzen« (S. 431).

[5] Ibid., S. 443.

[6] Ibid., S. 445.

[7] Ibid.

[8] Ibid., S. 449.

[9] Ibid., S. 456 f. An dieser Stelle gibt Hegel eine faszinierende Erklärung für das Aufhören der Sklaverei im Altertum: »Jenes Verhältnis der Sklaverei ist in der empirischen Erscheinung der Universalität des römischen Reichs von selbst verschwunden. In dem Verluste der absoluten Sittlichkeit, und mit der Erniedrigung des edlen Standes sind sich die beiden vorher besonderen Stände gleich geworden; und mit dem Aufhören der Freiheit hat nothwendig die Sklaverei aufgehört.«

[10] Ibid., S. 450 f.

[11] Ibid., S. 462. Es besteht eine offensichtliche Ähnlichkeit zwischen Hegels Idee eines »absoluten« (oder später »allgemeinen«) Standes und Platonischen Gedanken. Hegels philosophische Rechtfertigung unterscheidet sich jedoch wesentlich von Platos philosophischer Anthropologie und ist völlig frei von dem bei Plato vorhandenen rassistischen Beigeschmack. Deshalb konnte Hegel, ungeachtet der bestehenden Ähnlichkeiten, den geschlossenen Charakter von Platos »Kastensystem« verurteilen. Siehe M. B. Foster, The Political Philosophies of Plato and Hegel, Oxford 1935, der sich jedoch auf die Rechtsphilosophie beschränkt und die Jenaer Manuskripte unberücksichtigt läßt.

[12] Gesammelte Werke, IV, S. 458.

[13] Rosenzweig, Hegel und der Staat, S. 130 ff. Daß die Realphilosophie I eine frühere Stufe einer umfassenden systematischen Darstellung sei, ist in jüngster Zeit in Frage gestellt worden. Siehe die Vorbemerkung des Verlages zur neuen Ausgabe der Realphilosophie II, Hamburg 1967. Wir werden dessenungeachtet der traditionellen Zitierweise folgen und uns auf die beiden Texte als auf Realphilosophie I und II beziehen.

[14] Cf. Marcuse, Reason and Revolution, S. 73-90 (dt.: Vernunft und Revolution, Neuwied/Berlin 1962, S. 65-88); Lukács, Der junge Hegel, S. 407-31; Mihailo Markovic, »Economism or the Humaniza-tion of Economics«, Praxis V, 1969, S. 460 f.

[15] »System der Sittlichkeit«, in Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, S. 419.

[16] Ibid., S. 422.

[17] Realphilosophie II, S. 207; cf. Realphilosophie I, S. 240, zum Übergang vom Besitz zum Eigentum: »Die Sicherheit meines Besitzes ist die Sicherheit des Besitzes Aller; in meinem Eigentum haben Alle ihr Eigentum. Mein Besitz hat die Form des Bewußtseins erhalten.«

[18] Schriften zur Politik, S. 439.

[19] Realphilosophie II, S. 217.

[20] Schriften zur Politik, S. 424.

[21] Ibid., S. 430.

[22] Ibid., S. 428.

[23] Realphilosophie I, S. 233.

[24] Realphilosophie II, S. 218.

[25] Daß dies Hegels Ausgangspunkt war, wurde deutlich von Marx gesehen, der in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten schreibt: »Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomie. Er erfaßt die Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende Wesen des Menschen.« Da Marx aber die unveröffentlichten Texte des Systems der Sittlichkeit und der Realphilosophic nicht kannte, sah er nicht, daß Hegel auch erkannte, daß Arbeit Entfremdung einschließt. Deshalb konnte er fälschlicherweise fortfahren: »er sieht nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative«. Siehe Karl Marx, Texte zu Methode und Praxis II, Reinbek 1966, S. 114.

[26] Realphilosophie II, S. 213.

[27] Ibid., S. 214 f.

[28] Realphilosophie I, S. 237 f.

[29] Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, S. 492.

[30] Realphilosophie I, S. 238.

[31] Ibid., S. 239.

[32] Ibid., S. 232, 237. Die Ähnlichkeit mit Marx' Beschreibung in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten ist verblüffend. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied, den bereits Lukács hervorgehoben hat. Während Hegel in der Entfremdung einen notwendigen Aspekt der Objektivierung sieht, ist nach Marx die Entfremdung etwas, das nicht mit dem Produktionsprozeß als solchen, sondern nur mit seinen konkreten historischen Bedingungen notwendig zusammenhängt. Für Marx gibt es deshalb die Möglichkeit einer endgültigen Erlösung, während es in Hegels Augen unmöglich ist, jemals das Kreuz aus der Rose der Gegenwart zu entfernen.

[33] Schriften zur Politik, S. 437.

[34] Bei meiner Erörterung der Marxschen Ansichten über die Entfremdung des Arbeiters in meinem Buch The Social and Political Thought of Karl Marx, Cambridge 1968, habe ich auf den Seiten 55 f. auch auf die Schriften von Adam Müller und Franz von Baader hingewiesen, um zu zeigen, daß die sozialen Folgen der Industriegesellschaft bereits vor Marx und der Heraufkunft der Industrialisierung in Deutschland selbst von deutschen Denkern erkannt wurden. Damals war nur noch nicht bekannt, in welchem Ausmaß sich Hegel mit diesen Problemen befaßt hatte. Seine Untersuchungen stammen nicht nur aus einer früheren Zeit als die Müllers und von Baaders, sondern sind auch viel detaillierter und nehmen eine zentrale Stelle bei der Herausbildung seiner Sozialphilosophie ein - was man von den beiden anderen genannten Denkern nicht sagen kann. Natürlich besteht noch ein weiterer Unterschied: während Müllers und von Baaders Schriften veröffentlicht wurden, blieben Hegels Erörterungen zu diesem Problem ungedruckt und seinen Zeitgenossen unbekannt.

[35] Realphilosophie I, S. 239 f. In späteren Jahren verfaßte Hegel den folgenden Aphorismus über das Geld: »Geld ist die Abbreviatur aller äußerlichen Notwendigkeit.« (Berliner Schriften, S. 731) Auch hierbei zeigt sich eine große Ähnlichkeit mit Marxens Fragment über das Geld (Texte zu Methode und Praxis, II, S. 103-107) und Moses Hess' Abhandlung über denselben Gegenstand.

[36] Schriften zur Politik, S. 493. Cf. S. 492: »Dieser Wert selbst hängt vom Ganzen der Bedürfnisse und vom Ganzen des Überflusses ab; und dieses Ganze ist eine wenig erkennbare, unsichtbare, unberechenbare Macht.«

[37] Ibid., S. 438: »So hat dieser Besitz seine Bedeutung auf das praktische Gefühl des Subjekts verloren, ist nicht mehr Bedürfnis für dasselbe sondern Überfluß; seine Beziehung auf den Gebrauch ist deswegen eine allgemeine, und, diese Allgemeinheit in ihrer Realität gedacht, -auf den Gebrauch andrer.«

[38] Realphilosophie II, S. 257. Cf. S. 232: »Es werden also eine Menge zu den ganz abstumpfenden, ungesunden und unsichern und die Geschicklichkeit beschränkenden Fabrik-, Manufaktur-Arbeiten, Bergwerken usf. verdammt ...«

[39] Ibid., S. 238.

[40] Schriften zur Politik, S. 495. In diesen Abschnitten spricht Hegel ausdrücklich von der »arbeitenden Klasse« (S. 498). Es ist festzuhalten, daß Hegel nur im Zusammenhang mit Arbeitern den modernen Ausdruck »Klasse« benutzt statt des traditionellen Terminus »Stand«, den er verwendet, wenn er in anderen Zusammenhängen über die gesellschaftlichen Klassen spricht.

[41] Ibid., S. 494 f. Cf. S. 496: »Alsdann bringt der hohe Reichtum, welcher gleicherweise mit der tiefsten Armut verbunden ist, ... auf der einen Seite in der ideellen Allgemeinheit, auf der anderen in der reellen mechanisch hervor, und dies rein Quantitative, bis zum Begriff Vereinzelte, Unorganische der Arbeit ist unmittelbar die höchste Roheit.«

[42] Realphilosophie II, S. 231 f. Der kritische Ton an dieser Stelle läßt an Rousseau denken. Hegel hat jedoch niemals die Möglichkeit einer Rückkehr zu einer primitiveren, weniger differenzierten Gesellschaft in Betracht gezogen. Die Sehnsucht nach ursprünglicher Einfachheit, die sich bei Plato wie auch bei Rousseau findet, fehlt bei Hegel völlig.

[43] Ibid., S. 232.

[44] Ibid., S. 232 f. Es ist sehr interessant, daß der Ausdruck »innre Empörung«, den Hegel hier benutzt, auch im Zusatz zu § 244 der Rechtsphilosophie verwendet wird, wo es heißt: »Die Armuth an sich macht Keinen zum Pöbel: dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armuth sich verknüpfenden Gesinnung, durch die innere Empörung gegen die Reichen, gegen die Gesellschaft, die Regierung usw.« Die einzige versteckte Bezugnahme bei Marx auf Hegels Erörterung der Armut in der Rechtsphilosophie ist ein flüchtiger Hinweis darauf, daß »Empörung« nicht ausreiche; siehe Karl Marx/Friedrich Engels, »Die heilige Familie«, Werke Bd. 2, Berlin 1962, S. 37

[45] Schriften zur Politik, S. 495.

[46] Cf. Eric Weil, Hegel et l´Etat, Paris 1950, S. 93-97.

[47] Realphilosophie II, S. 233.

[48] Ibid., S. 234.

[49] Schriften zur Politik, S. 494.

[50] Ibid., S. 493. In seiner Jenaer Zeit unterstützte Hegel ausdrücklich die Festsetzung von Höchstpreisen seitens der Regierung, da die Preise im Falle eines Krieges oder einer Warenverknappung sonst steigen und viele Waren für die breite Öffentlichkeit unzugänglich würden; siehe Dokumente, S. 372 f.

[51] Schriften zur Politik, S. 496. Hegel betont auch ausdrücklich, daß die Besteuerung so durchzuführen sei, daß die »arbeitende Klasse« durch sie nicht verarme (S. 498).

[52] Realphilosophie II, S. 238. Hegel erwähnt auch die individuelle Wohltätigkeit, die aber, wie später in der Rechtsphilosophie, so auch hier, als Sache des subjektiven Gefühls angesehen wird, die allgemeine staatliche Maßnahmen im Hinblick auf die Armut nicht ersetzen kann {Schriften zur Politik, S. 472).

[53] Realphilosophie II, S. 248 f.

[54] Ibid., S. 205, 245 ff. Cf. Hegels Insistieren in einem Aufsatz im Kritischen Journal der Philosophie darauf, daß das »untergeordnete Verhältnis« eines Vertrages niemals der »absoluten Majestät« der politischen Ordnung adäquat sein könne (zitiert von Rosenkranz, Hegels Lehen, S. 176).

[55] Realphilosophie II, S. 244 f.

[56] Ibid., S. 248.

[57] Ibid., S. 259.

[58] Ibid., S. 243.

[59] Schriften zur Politik, S. 469-72.

[60]  Ibid., S. 469. Cf. S. 468: »Der Begriff der Sittlichkeit ist in ihre Objektivität, die Aufhebung der Einzelheit gelegt worden. Dieses (ist das) Vernichtetsein des Subjektiven im Objektiven, das absolute Aufgenommensein des Besondern ins Allgemeine.«

[61] Ibid., S. 466 f. Genau das sollte nach Marx der Kommunismus erreichen.

[62] Realphilosophie II, S. 249. Hegel verwendet hier die französischen Ausdrücke wie später Marx in seinem Aufsatz »Zur Judenfrage« (Karl Marx/Friedrich Engels, Werke Bd. 1, S. 347-77). Für Marx ist jedoch die Spaltung des Menschen in den bourgeois und den citoyen ein Zeichen für seine Entfremdung in der modernen Gesellschaft, während sie für Hegel die Grundlage für die Integration des Individuums in sie ist.

[63] Realphilosophie II, S. 253. Sie reflektieren auch verschiedene Formen des sittlichen Verhaltens. Jeder Stand hat eine ihm eigentümliche und seiner Stellung im Leben adäquate Form der Sittlichkeit (Schriften zur Politik, S. 475).

[64] Ibid., S. 475. Sklaven, die kein Allgemeines bilden können, stellen keinen Stand dar: »Der Sklave verhält sich als Einzelnes zum Herrn.«

[65] Ibid., S. 496. Als Beispiel erwähnt Hegel das in Athen eingeführte Gesetz, nach dem die Finanzierung von Festen den Reichen eines jeden Stadtviertels auferlegt wurde.

[66] Realphilosophie II, S. 254 f. Im »System der Sittlichkeit« fügt Hegel noch hinzu, daß der Bauernstand »auch der Tapferkeit fähig« ist und »in dieser Arbeit und in der Gefahr des Todes sich an den ersten Stand anzuschließen (vermag)« (Schriften zur Politik, S. 480).

[67] Realphilosophie II, S. 256.

[68] Ibid.

[69] Schriften zur Politik, S. 477. »Rechtschaffenheit« ist die Verfahrensweise dieses Standes, das Eigentumsgesetz sein Vehikel.

[70] Realphilosophie II, S. 256 f. Cf. Schriften zur Politik, S. 478.

[71] Realphilosophie II, S. 259. Im »System der Sittlichkeit« verwendet Hegel für diese Klasse den Ausdruck »absoluter Stand«; die Betonung liegt dabei mehr auf dessen Funktion, den Staat zu verteidigen, als auf der, ihn zu verwalten (Schriften zur Politik, S. 475).

[72] Realphilosophie II, S. 260.

[73] Ibid., S. 241.

[74] Ibid., S. 260.

[75] Ibid., S. 246 f.

[76] Ibid., S. 247 f. Es besteht hier eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Marxschen Gedanken der Aufhebung des Staates durch die Diktatur des Proletariats. Die Dialektik der Aufhebung führt die notwendige Beseitigung beider Formen der Diktatur herbei, sobald deren Zweck erreicht ist.

[77] Ibid., S. 249.

[78] Ibid., S. 249 f. Hegel sieht in Platos Politeia einen Ausdruck dieses Fehlens der Distinktion zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen. Genau wie in seinen späteren Schriften sieht er auch schon hier in Platos Staat ein Symbol für das, was man heute als totalitäres System bezeichnet: »In der alten Zeit war das schöne öffentliche Leben die Sitte aller, Schönheit als unmittelbare Einheit des Allgemeinen und Einzelnen, ein Kunstwerk, worin kein Teil sich absondert vom Ganzen, sondern diese genialische Einheit des sich wissenden Selbsts und seiner Darstellung. Aber das Sich-selbst-absolut-Wissen der Einzelheit, dieses absolute Insichsein war nicht vorhanden. Die Platonische Republik ist wie der Lakedämonische Staat dies Verschwinden der sich selbst wissenden Individualität.« (Realphilosophie II, S. 251)

[79] Ibid., S. 250.

[80] Ibid., S. 251.

[81] Ibid., S. 252.

[82] Ibid., S. 270.

[83] Ibid.

[84] Ibid., S. 267. Cf. S. 266: Gott »ist ein Mensch, der gemeines räumliches und zeitliches Dasein hat ... Die göttliche Natur ist nicht eine andre als die menschliche ...«

[85] Ibid., S. 264 f.

 

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